Wie man Populismus überwinden kann

Jan-Werner Müller
Politik

Veranstaltungsdaten

Datum
5. 12. 2016
Veranstalter
Institut für die Wissenschaften des Menschen
Ort
Institut für die Wissenschaften des Menschen
Veranstaltungsart
Vortrag
Teilnehmer
Jan-Werner Müller, Politikwissenschaftler, Autor
János Mátyás Kovács, Moderator
Jan-Werner Müller, geboren 1970 in Bad Honnef, Deutschland, ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er studierte in Berlin, London, Oxford und Princeton. Seit 2005 lehrt er in Princeton.

Was ist Populismus

Zu Beginn des Vortrags führt Müller aus, dass es keine Anleitung geben könne, wie man Populismus zu überwinden habe; und wenn einer existiere, müsse man ihm misstrauen. Vielmehr müsse man sich auf einen langen, wahrscheinlich schwierigen Kampf gegen Populismus einstellen.

Im Folgenden versucht er eine Definition von Populismus zu geben: Zuallererst sei Populismus nichts anderes, als eine Form der Identitätspolitik. Es gäbe keine universell gültige Definition des Begriffes Populismus, auf den sich Sozialforscher, Historiker und Bürgerrechtler geeinigt hätten.

Müller selbst sieht ein engeres Konzept für das Phänomen Populismus vor, als das andere eventuell vorschlagen würden. Er hält es für äußerst problematisch, dass dieser Begriff oder die Zuschreibung ‚populistisch‘, insbesondere in Europa, in der heutigen Zeit dermaßen überbeansprucht würde.

Nicht jeder, der Eliten kritisiert, ist automatisch Populist. In einer Demokratie muss jeder Eliten kritisieren können – und soll dies auch tun.

Aber was machen Populisten anders?

Populisten stellen immer den Anspruch, dass sie – und nur sie – die Vertreter dessen sind, was sie als ‚das wahre Volk‘, oder auch als ‚die schweigende Mehrheit‘ bezeichnen.

Es geht um die Rhetorik, denn obwohl das zunächst harmlos klingt, birgt es zwei für die Demokratie gefährliche Konsequenzen:

Erstens stellen Populisten alle anderen Mitbewerber um die Macht immer direkt als illegitim dar, da ja sie – und nur sie – den Willen des Volkes kennen würden. Dabei verlassen sie gerne das Feld der inhaltlichen Fragen, die ja durchaus diskutiert werden dürfen in einer Demokratie, und würden persönlich: Sie stellen direkt die Charakterfrage, eine moralische Frage.

Vor allem Donald Trump habe das bis zum Exzess getrieben, mit seinen Äußerungen über seine Kontrahentin. Aber Trump war nur ein Extrem in dieser Hinsicht und mitnichten eine Ausnahme.

Zweitens – nicht ganz so offensichtlich – sagen Populisten auch, dass diejenigen Bürger, im Volk selbst, die nicht ihre Auffassung des vermeintlich wahren Volkes teilen, auf gewisse Weise nicht dazugehören.

So habe Nigel Farage in der Nacht der Brexit-Abstimmung gesagt: „A victory for real people“ – „Ein Sieg für das wahre Volk“, was ja nichts anderes heiße, als dass die 48%, die in der EU bleiben wollten, irgendwie nicht ganz ‚echt‘ seien, irgendwie nicht ganz dazu gehörten.

Daraus folgt, dass immer ein doppelter Ausschluss stattfindet, sowohl auf Ebene der Parteien – denen die Rechtmäßigkeit abgesprochen wird – als auch auf Ebene der Bürger –, die in echte und nicht wirklich dazugehörige unterteilt werden.

Norbert Hofer sagte nach der ersten Wahl zum Bundespräsidenten: „Ja, Van der Bellen wurde gezählt, aber nicht gewählt“. Damit kritisierte er nicht einfach nur das Wahlsystem, sondern machte eine „Schere“ auf:

Zwischen hier sind nur die Zahlen, aber auf der anderen Seite gibt es noch etwas fast Metaphysisches, irgendeine ‚Mesobstanz’* [etwas nicht Greifbares], die da irgendwie draußen ist, das wahre Volk – und das kann ich sozusagen evozieren [heraufbeschwören] als Populist.

Populisten sehen sich als wahre Vertreter und versuchen dann, das Volk gegen die existierenden Verfahren und Institutionen auszuspielen – das ist typisch populistisch, das ist gefährlich und als Argument letztendlich nicht legitim.

Erneut hervorzuheben ist hier die besondere Moralisierung von Politik. Demnach fördern Populisten gezielt das Bild eines homogenen, unschuldigen, üblicherweise hart arbeitenden, vollkommen vereinten Volkes gegen eine Elite, die mit den gegensätzlichen Attributen beschrieben wird: Grundsätzlich korrupt, nicht arbeitend, nicht dem Volk dienend und sehr oft eben auch nicht wirklich zum Volk dazugehörig.

Bei rechtem Populismus im Besonderen fällt auf, dass sie sowohl die Elite, als auch deren Gegenstück, als Feindbilder zeichnen: Jene, die ganz unten in der Gesellschaft angesiedelt sind, und jene, die in der Vorstellung der Populisten, auch nicht arbeiten und nicht wirklich dazugehören.

Müller sieht den Erfolg der Populisten in einem immer stärker werdenden Konflikt unserer Zeit. Auf der einen Seite gäbe es Menschen, die sich mehr Öffnung wünschen – auf internationaler Ebene von mehr kultureller aber auch mehr ökonomischer Globalisierung, oder aber auf nationaler Ebene, Öffnung bspw. gegenüber religiösen, ethnischen, sexuellen Minderheiten etc. im eigenen Land. Und auf der anderen Seite gäbe es Menschen, die mehr Abschottung und Schließung wünschen.

Entscheidend hier ist, dass die Populisten bei diesem Konflikt sagen können, „das ist etwas, wo wir als Populisten etwas beizutragen haben, denn wir betreiben Identitätspolitik. Wir bestimmen, wer dazu gehört und wer nicht dazu gehört.

Er verweist darauf, dass Facebook und Twitter etwas ermöglichen, was man – etwas paradox – direkte Repräsentation nennen könnte. Die Menschen bekommen das Gefühl, dass sie in direktem Kontakt mit der Person stehen und kein Medium vermittelnd eingreift.

Er betont, dass Populisten keine direkte Demokratie wollen, sie haben kein Problem mit der repräsentativen Demokratie, heben aber hervor, dass sie die einzig wahren Repräsentanten hätten.

Was sie aber auch dezidiert ablehnen, ist irgendetwas, was sich zwischenschaltet, zwischen die Bürger und diese angeblich wahren Repräsentanten: Also keine komplizierten Parteiapparate, aber auch keine professionellen Medien, die ja vermitteln und aus Sicht der Populisten immer verfälschen.

Dagegen stehe die Idee, auch wenn das eine Illusion sei, dass ich als Bürger direkt in Kontakt treten kann mit dem „wahren Repräsentanten“. Diese Entwicklung hätten Facebook und Twitter sehr verstärkt.

János Mátyás Kovács und Jan-Werner Müller

Wie Populismus besiegen

Im Folgenden führt Müller Punkte aus, die beim Umgang mit Populismus zu beachten sind:

Auf die Sprache achten

Das ist grundsätzlich etwas, was jeder von uns tun kann. Genauer differenzieren zwischen wirklich gefährlichen Populisten und einfachen Bewegungen und Parteien, die das Leben in der EU zwar ein wenig erschweren auf die eine oder andere Weise, aber keine Populisten sind.

Völliger Ausschluss ist keine Lösung

Außerdem führt er aus, dass ein völliger Ausschluss, im Sinne von „mit denen setze ich mich nicht aufs Podium, die werden nicht in die Talkshow eingeladen, im Parlament boykottieren wir die alle gleich“, nur nach hinten los gehen kann.

Denn damit bestätigt man ja automatisch das Narrativ, die Erzählung, die die Populisten ihren Anhängern immer vorsetzen: „Die Eliten hören gar nicht erst zu, es gibt diese ganzen Tabuthemen, über die man nicht reden darf etc. etc.

Mit Populisten reden, heißt nicht, wie Populisten reden

Mit Populisten reden hieße ja nicht wie Populisten reden. Also die Tatsache, dass man dann eine Debatte habe, heißt ja nicht, dass man deren Einrahmung von Problemen, deren Suggestion, was was verursacht, einfach so übernehmen müsse. Weniger offensichtlich sei auch, dass man dann innerhalb einer Debatte über Vieles reden kann. Also über Einwanderung, über andere Lösungen in der Euro-Krise, da kann man dann nicht sofort sagen: „Nein, das ist doch völlig undemokratisch, wenn man eine gewisse Position vertritt.

Nur, wenn Populisten dann mit so Theorien kommen wie – im deutschen Kontext – ‚Angela Merkel hat einen Plan, das ganze deutsche Volk durch Syrer zu ersetzen‚, wie es die AFD zum Teil tut, dann ist es auch sehr wichtig, dass andere Politiker wirklich hart und konfrontativ werden, und sagen: ‚Moment, hier passiert jetzt was anderes, hier verlassen wir jetzt sozusagen das Territorium einer normalen demokratischen Debatte, wo man sich streiten kann über alle möglichen Inhalte – völlig legitim. Aber wenn Sie jetzt mit so etwas kommen, dann: Moment, Beweise auf den Tisch, oder bitte Schluss damit.‘

Nicht der Annahme verfallen, Populisten würden sich sowieso selbst entzaubern

Populisten können als Populisten regieren, was heißen soll, sie können als Antipluralisten regieren. Deswegen sollte es uns nicht überraschen, dass beispielsweise ein Orbán, ein Erdoğan, ein Kaczyński, wenn sie genug Macht haben, sozusagen ihren populistischen Grundanspruch eines moralischen Alleinvertretungsanspruches des wahren Volkes auch umsetzen und deswegen auch die Opposition drangsalieren, Medienpluralismus runterfahren etc.

Das geht natürlich nur, wenn sie entsprechende Mehrheiten haben und es keine entsprechenden Gegengewichte gibt. Insofern sollte man nicht verallgemeinern und sagen, dass von populistischen Juniorpartnern einer Koalition das Schlimmste zu erwarten sei. Das folgt daraus nicht. Also die liberale Erwartung, das Problem löse sich immer von selbst durch die Entzauberung, das hält Müller für falsch.

Fragen aus dem Publikum

Braucht es einen charismatischen Führer?

Es hilft sicher, einen charismatischen Führer zu haben, um erfolgreich zu sein. Doch das trifft auf alle politischen Parteien zu. Ich glaube nicht, dass es spezifisch für Populismus ist, was aber spezifisch ist, ist die Behauptung, dass es einen einzigen vom Volke ausgehenden Willen gibt und dass dieser erfolgreich von einer Person verkörpert werden kann. Diese muss nicht unbedingt charismatisch sein, sie muss nur symbolisch, persönlich sagen können: ‚Ich repräsentiere wirklich den Willen der wahrhaftigen Menschen.‘

Was tut man in Diskussionen mit Populisten, in denen sie ganz offensichtlich auf falsche Tatsachen pochen?

Wenn man merkt, dass man nicht weiter kommt, kann man auch einfach das Thema wechseln. Ich weiß, dass das sehr frustrierend sein kann. Aber Populisten wissen zu allem schon die Antwort. Das ist auch typisch populistisch. Wahlergebnisse anfechten, wenn das Ergebnis nicht so ist, wie sie es haben wollen. Hofer hat das getan, und Trump hatte angekündigt, es zu tun, sollte er nicht gewinnen.

Sie haben gesagt, Populisten entzaubern sich nicht selbst, wie kann das sein?

Hillary Clinton z.B. hat sich zu sehr darauf ausgeruht, dass ihr Kontrahent offensichtlich ungeeignet war. Sie hat ihn nur noch durchgewinkt und abgenickt. Sie war sich sicher, dass die Menschen erkennen mussten, wie eindeutig unfähig Trump ist. Jetzt aber wurde Trump gewählt und er wird auch regieren können. Und wenn er nicht den entsprechenden Gegenwind bekommt, wird er das Antipluralistische durchziehen: Medienpluralismus runterfahren, checks and balances schwächen etc.

Clinton hätte da viel mehr sich selbst als bessere Alternative zeigen müssen, sagen müssen, was die Wähler von ihr zu erwarten gehabt hätten. So gab es einfach keine wirkliche Alternative für die Menschen. Die Entzauberung habe einfach nicht stattgefunden.

Ist „Populist“ eine negative Bezeichnung? Weil es ja auch Politiker gibt, die sich selbst als Populisten bezeichnen?

Dabei handelte es sich zumeist um eine rhetorische Vorwegnahme, Marine Le Pen habe gesagt: „Wenn für die Menschen arbeiten und einstehen bedeutet, dass ich ein Populist bin, dann bin ich Populist.“ Es sei, laut Müller, also eine positive Zuschreibung zu dem Begriff der dann verbunden wird mit der Bestätigung, dass man dann durchaus diese positiven Aspekte erfülle.

Hinzu kommt, dass der Begriff in Europa – und hier erlaube ich mir die Behauptung, dass es keine wirklich positive Interpretation des Begriffes Populismus gibt – und in den USA unterschiedlich wahrgenommen wird. In den USA ist der Begriff nicht so sehr negativ behaftet wie hier.

* Mit der Wortschöpfung „Mesobstanz“, die er aus der griechischen Vorsilbe „meso“ (für „mittel“) und „Substanz“ bildet und die soviel wie „Mittelsubstanz“ bedeutet, meint Müller vermutlich eine nicht genau definierbare Bevölkerungsmenge.

Credits

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Jan-Werner Müller Jan-Werner Müller Bianca Traxler CC BY-SA 4.0
János Mátyás Kovács und Jan-Werner Müller János Mátyás Kovács und Jan-Werner Müller Bianca Traxler CC BY-SA 4.0