Wir – Wie lautet ein Plädoyer fuer mehr Zusammenhalt ?

Gesellschaft

Das Gemeinsame in unserer Gesellschaft, das inklusive „Wir„, sowie ein möglicherweise daraus ableitbarer, neuer Generationenvertrag sind zentraler Inhalt dieser Online-Veranstaltung des BSA. Unter der Leitung von Matthias Vavra diskutieren die Kulturwissenschafterin Dr. Judith Kohlenberger und der Philosoph Dr. Michael Vogler.

Nachdem beide Diskutanten für sich den Begriff „Wir“ definiert haben, werden die Chancen auf mehr Solidarität und weniger Wettkampf als Lehre aus der Krise analysiert. Die Migrationsforscherin Kohlenberger bringt das Beispiel der chinesischen Näherinnen in der italienischen Modeindustrie, die mutmaßlich die Ursache für den Ausbruch der Coronakrise in Europa waren. Sie, die nicht zum „Wir“ gehörten, hatten als illegale Einwanderer keine Gesundheitsversorgung, wodurch sich das Virus ungehindert ausbreiten konnte. Ausgrenzung schadet also nicht nur den Ausgegrenzten, wie sie in ihrem Buch Wir anhand weiterer Beispiele darstellt.

Als Historiker habe man einen antrainierten Blick für größere Zusammenhänge: bereits vor Corona gab es mehrere ökonomische Krisen, zahlreiche Rohstoffe haben ihren Peak bereits überschritten, meint Vogler. Auf Wettbewerb, auf die Spaltung bauen riesige gesellschaftliche Systeme auf. Dieses Weltbild wird allerdings jetzt in Frage gestellt. Durch Corona ist vielen Menschen bewusst geworden, wie wichtig der Kontakt mit anderen Menschen ist. Dies sei davor immer als gegeben angenommen worden. Auch die Digitalisierung kann dieses Dilemma nicht lösen: Beziehung, Begeisterung, Emotion funktioniert nicht über das Internet.

Nicht nur die Abhängigkeiten auf vielen Ebenen (krisenrelevante Berufe, ältere Generationen), sondern auch die Ungleichheiten des Systems sind durch die Krise deutlich an den Tag getreten. Auch sei die überwunden geglaubte Blockwartmentalität bei vielen Menschen inklusive ihr selbst zum Vorschein gekommen, meint Kohlenberger. Viele tun sich schwer, die Lebensrealität anderer Menschen zu akzeptieren; Vorurteile haben Hochkonjunktur.

An der Politik ärgert Vogler massiv, dass einerseits der jungen Generation zu Unrecht vorgeworfen wird, sich nicht an die Maßnahmen zu halten; andererseits, dass die ältere Generation pauschal als vulnerable Gruppe stigmatisiert wird. Ältere Menschen haben den Vorteil, zu wissen, wie es mit 20 war; jungen Menschen fehlt die Erfahrung, alt zu sein, natürlich. Gerade junge Menschen brauchen für ihre persönliche Entwicklung den Kontakt zu Altersgenossen; auch brauchen sie eine Lebensperspektive. Die „neue Normalität“ kann nicht voraussetzen, dass wir das Menschsein aufgeben.

Als Unternehmensberater weiß Vogler, was passiert, wenn ein Unternehmen – ebenso wie eine Gesellschaft – orientierungslos ist: die Belegschaft spaltet sich auf, Mobbing ist an der Tagesordnung. Die Welt der einfachen Lösungen hat Hochsaison.

Wie die Politik glaubhaft das Miteinander fördern und Visionen für die Zukunft bauen kann, wie man aus der aktuellen Krise gestärkt hervorgeht, wie man die Suche nach den Schuldigen beendet, wie wichtig die Sprache im Umgang mit der Krise ist, wie man den Ausgleich zwischen den Generationen herstellen kann und warum alte Elefanten wichtig sind sind weitere spannende Themen dieses Gesprächs.

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Wir – Wie lautet ein Plaedoyer fuer mehr Zusammenhalt Wolfgang Müller CC BY SA 4.0