Innenminister außer Rand und Band

außer rand und band
Meinung

Wolfgang Sobotka – ein Innenminister außer Rand und Band. Kaum hätte ich mir eine Situation vorstellen können, in der ich mir tatsächlich seine Amtsvorgängerin Johanna Mikl-Leitner zurückwünsche. Das Auftreten, das der Mann aus Niederösterreich an den Tag legt, führt aber genau dazu.

Das Tempo, mit dem die Grundrechte der Bürger Tag für Tag eingeschränkt werden sollen, ist erstaunlich. Da muss man nicht über den großen Teich schauen und über Donald Trump schimpfen, der im Oval Office derzeit täglich Dekrete unterzeichnet.

Schaffner und Taxler als Zöllner 2.0?! Ehrlich, Herr Innenminister?

Schaffner und Taxler sollen in Zukunft ein Recht ausüben, das sonst nur der Polizei und dem Zoll vorbehalten ist? Sie sollen – nein müssen! – in Zukunft Ausweise kontrollieren. Interessanterweise in einer Zeit, da die Flüchtlingszahlen rückläufig sind. Möchten Sie, lieber Herr Innenminister, hier nun vielleicht mögliche Versäumnisse in Bezug auf nicht durchgeführte Personen- und Grenzkontrollen im Jahr 2015 überkompensieren?

Was kommt als Nächstes? Ein Wahrheitsministerium?

Zugriff auf Kameras in privaten Bereichen? Ach nein, das haben Sie ja auch schon gefordert. Fehlen noch Fernseher mit eingebauter Kamera, dann dürfen wir uns alle bald wie Winston Smith fühlen. Und wenn wir nicht gehorchen, wird unser „Aktionsradius“ eingeschränkt. Das betrifft aber natürlich nur die Flüchtlinge, die sich nicht an die Spielregeln halten. Alle anderen sind davon nicht betroffen. Also alle außer denen, die nicht gerade zufällig durch das Bild einer öffentlichen oder privaten Kamera laufen.

Selber schuld, was hat man auch zur falschen Zeit am falschen Ort zu suchen?! An Flughäfen, Zugstationen und weiteren 100.000 Plätzen in Österreich. Oder im Eigenheim. Zur Sicherheit werden die gesammelten Daten auch langfristig gespeichert, so zumindest der Wunsch des Justizministers.

Dass so ein Gesetz schon einmal vom österreichischen Verfassungsgerichtshof und vom EuGH gekippt wurde, ist nebensächlich. Schließlich geht es um unser aller Sicherheit.

Dafür müssen wir also immer mehr Freiheiten aufgeben, um die Sicherheit zu erhöhen. Hat ja bisher ganz toll geklappt …

Frankreich ist der wohl am besten überwachte Staat Europas – schließlich lebt man seit vielen Monaten im staatlich verhängten Ausnahmezustand, der erst kürzlich verlängert wurde. Wieso, fragt man sich, hat es dann die Anschläge in Nizza gegeben? Welche Maßnahmen hätte es noch gebraucht, um den Anschlag von Berlin zu verhindern? Wurde der Gefährder Amri nicht schon wochenlang vom Verfassungsschutz beobachtet? Hätte noch mehr Überwachung den Anschlag verhindert? Äußerst unwahrscheinlich.

Die Illusion der allumfassenden Sicherheit wird immer dann hochgekocht, wenn etwas passiert ist. Wir müssen nur die Gesetze noch weiter verschärfen, wir müssen nur den „Krieg gegen den Terror“ noch konsequenter führen, dann werde alles gut, so das Versprechen der Politik.

Die USA und ihre europäischen Verbündeten haben den „Krieg gegen den Terror“ im Jahr 2001 begonnen. Fünfzehn Jahre später stehen wir vor den Trümmern dieser Politik. Und was ist die Lösung? Richtig: noch mehr Bomben, noch mehr Tote und noch mehr Vertriebene, die sich auf Wanderschaft begeben und dann völlig überraschend in Europa landen (wobei 90% der Flüchtlinge in der Nähe ihres Heimatlandes in zumeist angrenzenden Nachbarländern Schutz suchen).

Gleiches versuchen nun einige Innenminister auf der Überwachungsebene. Mal abgesehen davon, dass die weitaus überwiegende Anzahl derer, die in Europa Anschläge verübt haben, Staatsbürger europäischer Länder (Frankreich, Belgien, Großbritannien) und keine Flüchtlinge waren, versucht man der Öffentlichkeit mit so absurden Vorschlägen wie Passkontrollen in Zügen und Taxis das fiktive Gefühl von Sicherheit zu suggerieren.

Dabei ist jedem normal denkenden Menschen klar, dass es in der heutigen Zeit mit all ihren technischen Möglichkeiten (z.B. Drohnen) gar keine umfassende Sicherheit geben kann!

Der IS hat ausreichend Geld, um gut gefälschte Reisepässe zu besorgen und seine Leute per Flugzeug nach Europa schicken zu können. Einfach so. Da helfen weder Kameras noch Taxi-Spione (höchstens im Nachhinein). Solche Täter lassen sich nicht durch Kameras abschrecken, die nutzen sie höchstens zu eigenen Zwecken. Und die Medien müssen dann auch noch die „schrecklichen Bilder“ zur besten Sendezeit an die Massen bringen – aus einer tiefen Verpflichtung zur Informationsverbreitung heraus, versteht sich.
Kundgebung gegen das Überwachungspaket
Kundgebung gegen das Überwachungspaket am 30.01.2017, ab 19Uhr am Ballhausplatz gegenüber vom Bundeskanzleramt

Was macht ein Taxilenker oder ein Schaffner nun, wenn er einen Migranten, der keinen Pass bei sich hat, erwischt?

Es ist davon auszugehen, dass dieser Mensch versuchen wird, Reißaus zu nehmen. Übertragen wir den Transportbediensteten also im nächsten Schritt die Aufgabe, Personen festzuhalten? Übrigens auch ein Recht, das in Österreich nur die Exekutive ausüben darf. Und Selbstschutz muss dann natürlich auch gewährleistet sein. Amerikanische Verhältnisse in Österreich? Schwarzmalerei!

Bei jeder Überwachungsmaßnahme müsste eigentlich geprüft werden, ob der Aufwand und die „Nebenwirkungen“ der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten die mögliche Verbesserung der Fahndungsergebnisse rechtfertigen. Wer führt diese Überprüfung durch? Und wer hat die Muße dazu, in Zeiten, in denen täglich neue Gesetzesideen aus dem Innenministerium gefeuert werden?

Was tatsächlich für uns alle gefährlich ist …

… ist die Macht, die wir Bürger dem Staat und seinen Organen übertragen. In der heutigen Zeit ist die politische Landschaft in Auflösung begriffen. Es reicht schon, wenn ein populistischer Autokrat an die Macht kommt, der diese neuen Mittel dann für seine Zwecke verwenden kann. Er muss sie nicht einmal mehr selbst einführen, der demokratische Staat liefert sie ihm frei Haus!

Wie so etwas in der Praxis abläuft, hat man in der Türkei gesehen, wo schon Stunden nach dem Putschversuch Listen mit Tausenden Namen die Runde machten und Menschen entlassen wurden und in Gefängnissen verschwunden sind. Und natürlich auch dort zur Sicherheit der Bürger (vor angeblichen Anhängern der Gülen-Bewegung), versteht sich.

Wie lange wird man den freien Bürgern noch einreden: „Wer nichts zu verbergen hat, habe auch nichts zu befürchten!“

Das haben sich die Tausenden türkischen Staatsbürger vor Erdogans Rachefeldzug wohl auch gedacht. Geholfen hat es ihnen wenig. Vielleicht ist es doch an der Zeit, dass der eine oder andere seine Leichtgläubigkeit in die Staatsgewalt angesichts der Fahndungspannen im Fall Anis Amri, NSU– und sonstiger Skandale hinterfragt und sich überlegt, wo die regelmäßige Ausweitung der Überwachungsgesetze enden wird.

Ja, die Freiheit, die wir heute opfern, führt zu mehr Sicherheit: allerdings zu Sicherheit für diejenigen, die die politische Macht in Händen halten (werden), und nicht zu mehr persönlicher Sicherheit für die Bürger. Die politisch Mächtigen sind heute noch großteils Demokraten; ob sie es auch in Zukunft sein werden, wird die Geschichte zeigen.

Im Bezug auf Anstrengungen zur Kontrolle des ausufernden Überwachungsstaates sei hier auf die Initiative HEAT der Organisation epicenter works hingewiesen. Schon bei der Vorratsdatenspeicherung hat dieses Instrument gute Dienste geleistet. Das gesamte Dokument im PDF-Format findet sich hier. Weiters gibt es ein ausführliches Radiointerview, das Herbert Gnauer im Rahmen der Serie Radio Dispositiv mit Dr. Reinhard Kreissl vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie und DI Mag. Dr. Christof Tschohl von epicenter works zum Thema Überwachung geführt hat.

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außer rand und band außer rand und band Alexandre Dulaunoy CC BY-SA 2.0 de
Kundgebung gegen das Überwachungspaket Kundgebung gegen das Überwachungspaket Patryk Kopaczynski CC BY-SA 4.0