Mensch, sei klug und erkenne die Zeichen

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Lebenswelten

Ein weiterer Tag, der mit einem frühen Aufstehen und einem Gespräch bei Kräutertee beginnt. Man unterhält sich über die ‚kulturellen Unterschiede‘ und über Heimweh. Heute sollen wir Barney Bush (er ist Shawnee aus dem Ohio Valley, Schriftsteller, Lehrer, politischer Aktivist, einer meiner ersten Mentoren und Freunde aus alten Tagen im Land der Indianer) in seiner Blockhütte in Kuba/NM besuchen. Blackhorse will uns dorthin bringen, und das bedeutet, um Punkt acht Uhr aufzubrechen. Tom schafft es gerade noch, in die Hose zu schlüpfen. Und ich bin etwas sauer, da der Tag so stressig begann.

(Aus: Eine zusammenhängende Realität)

Tag 9, 11-06-02:

Die Tage verwehen wie Sanddünen – und verlagern Informationen und Perspektiven. In der Früh kümmerten wir uns darum, unsere tägliche „Chronik“ durch die digitalen Kanäle zu pfeifen. Als wir Toms E-Mails herunterluden, erhielten wir eine Nachricht von meinem Schwager Rob mit Informationen über die Hochwassersituation in unserer Heimat. Vergiftetes Trinkwasser in der Region, in der ich geboren wurde?

Und hier nun das, wie es immer ist – man kennt die Geschichte. Ist jemand von den Verantwortlichen wach? Oder ist den Menschen immer noch nicht klar, dass wir vor groben Veränderungen stehen?! Wenn die verantwortlichen Idioten nur ihr eigenes Leben zerstören würden, wäre es nicht so schlimm – aber was geschieht mit den Kindern und jenen, die sich nicht in ihren Villen verstecken und sich nicht aus ihrer Not herauskaufen können? Mensch, sei klug und erkenne die Zeichen. Mein Zorn hilft nicht. Wir sollten uns vorbereiten, für uns selbst und für diejenigen, die leben wollen.

Ich habe heute den Typen getroffen, der mit uns in Österreich Web-Workshops halten soll. Er ist jung, hat sich aber in seinem Handwerk weiterentwickelt und scheint sehr enthusiastisch, aufgeregt und unkompliziert zu sein. Das ist genau das, was wir brauchen. Wir klären Termine und Absprachen und hoffen, dass es klappt. Es ist nicht so einfach, wie manche Leute denken, die dringend nötige Brücke zwischen den Kulturen zu bauen. Aber es lohnt sich.

War am Nachmittag bei einem sehr interessanten Treffen im Diné College. Wir wurden von den für „internationale Angelegenheiten“ zuständigen Administratoren getestet, und sie fragten uns sehr direkt nach unseren Absichten. Mal sehen, wohin das führt. Unser Promotions-Video hat ihnen sehr gut gefallen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein großes Projekt für die Zukunft in Vorbereitung ist.

Wird unser eigenes Land, werden unsere eigenen Institutionen und die Menschen die Chancen, die sich daraus für beide Seiten ergeben, erkennen und uns unterstützen? Man weiß nie, aber wir sind voller Hoffnung und tun unser Bestes.

Ashley, meine neunjährige Großnichte, war glücklich, als wir am Abend bei ihrem Baseballspiel der Kinder-Liga auftauchten. All die kleinen Jungs, die in ihren passenden Outfits Ball spielen, die Trainer/Eltern, die Kinder, alle wirken so, als wüssten sie nicht, was tun … Tom und ich sehen vollkommen ein, keine Ahnung zu haben, was in diesem Spiel vor sich geht. Baseball … ein Rätsel, das ich nicht lösen will. Aber Ashley war glücklich, und das ist alles, was zählt.

Ging zum Abendessen mit dem Weber und Blackhorse – vier müde Kerle, die auf einem Veggie-Burger herumkauen. Jay Leno und Franka Potente trinken „Jägermeister“ auf der „Tonight Show„. Gute Nacht, Shash.

PS: Niemals über das österreichische Fernsehen klagen. Sicher lässt es viel zu wünschen übrig, aber haben Sie jemals den Mist gesehen, der hier drüben serviert wird? Ich mag die häufigen Autowerbungen, obwohl … Ich will einen 4×4-Pickup zu Weihnachten!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Tag 10, 12-06-02:

Guten Morgen. Die Sonne geht auf. Der Wind hat sich beruhigt. Die Vögel sind wieder da. Einer von ihnen scheint sich im halbtoten Baum neben dem Hogan eingenistet zu haben; er begann, mit mir zu kommunizieren. Ich verlasse das Haus in den frühen Morgenstunden, und er pfeift. Ich pfeife (nicht so schön) zurück. Das geht noch eine Weile so weiter, bis das gefiederte Wesen beschließt, kurz vor mir zu landen, mich beobachtend, den Kopf zur Seite geneigt – lautlos. Guten Morgen.

Wir fuhren zum Trading Post bei Farmington, wo wir George erwarteten, den Silberschmied. Da er nicht da war, nutzten wir gleich die Gelegenheit für eine Ortsbesichtigung. Wow, das ist vielleicht eine Reise in die Vergangenheit (und Gegenwart) des Wilden Westens. Alles, was man für ein Leben hier draußen benötigt, ist da. (Für die Waldviertler: Ein original „Trading Post“ ist eine Mischung zwischen der Frau Spitzer in Raabs und dem Lagerhaus in Zissersdorf.) Lebensmittel, Futtermittel, Decken, Seile, Sättel, Herde, Öfen, Geschenke, Waffen, Baumaterialien, Kleidung …

Am frühen Nachmittag machen wir uns auf den Weg nach Telluride. Durch Cortez, Dolores und vorbei an verschiedenen kleinen Bauerndörfern schlängelt sich die Straße zu den Berggipfeln empor. Entlang des Flusses fahren wir im ruhigen Stil und sinnieren über die offensichtliche Vielfalt der Landschaft und des Klimas. Denn innerhalb einer relativ kurzen Distanz verändert sich die Welt komplett: rot bis grün, heiß bis kühl und arm bis reich …

Telluride ist eine feinere Version von Kitzbühel. Und einige der interessantesten weißen Amerikaner haben ihre Lodges dort an den Berghängen. Das „Telluride Institute„, gegründet und geleitet von meinen alten Freunden Pam und John, ist einer der einflussreichsten Think Tanks in den USA. Sie beschäftigen sich hauptsächlich mit Umwelt- und Sozialthemen und veranstalten das gesamte Jahr über eine Reihe von Events, die durch verschiedene informative Publikationen unterstützt werden. Wir sind dabei, ein engeres internationales Netzwerk aufzubauen, um Informationen auszutauschen und in Zukunft möglicherweise zusammenzuarbeiten.

Es war eine gute und produktive Zeit, und ich gehe gerne hinauf, denn dies stellt den nötigen Kontrast für mich dar zum Leben auf dem Reservat.

Auf der Rückfahrt musste ich extrem aufpassen, da viele Wapitis und Rehe beschlossen haben, die Straße genau vor unserem Auto zu überqueren. Sie sind beeindruckende Tiere – so groß wie Pferde. Es wird eine späte Rückkehr durch die stille Wüstenfinsternis. Ich bin so todmüde … Shash wünscht allen gute Träume.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

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Gilcrease_-_Navajo_Sandpainting_Rug- Gilcrease_-_Navajo_Sandpainting_Rug Wolfgang Sauber CC BY-SA 3.0