Der Tag, an dem Donald Trumps Politkarriere endete

Meinung

Auch wenn viele schon längst Ähnliches erwartet hatten, so waren die Bilder aus dem Kapitol am 6.1.2021 dann doch verstörend: Massen an Tumpanhängern (und nein: es war KEINE false flag der Antifa), die ihre eigene Revolution starten, nachdem kurz davor Rudi Giuliani von einem trial by combat sprach, und Donald Trump seit Wochen mit martialischen Worten seine Anhänger einpeitschte. Wenn man Lin Wood, einen Anwalt in Trumps Umfeld, bei dessen Auftritten zuhörte, wie er immer wieder von „It‘s our 1776 revolution“ sprach, war man eher verwundert, dass es so lange ruhig blieb.

Aber nachdem Vizepräsident Mike Pence, der in besagter Rede von Donald Trump mehrfach zum richtigen Handeln aufgefordert wurde, nun auch noch – aus Sicht der Trumpisten – in das Lager der RINOs (Republicans in name only) überlief und den Präsidenten bei der Auszählung der Wahlmänner verriet, war das Fass übergelaufen: jene, die – trotz der für alle politischen Beobachter aussichtslosen Lage – felsenfest davon überzeugt waren, dass Donald Trump Präsident bleibt (manche sind es auch heute noch), wollten ein Zeichen setzen.

Die Aufarbeitung der Ereignisse dieses historischen Abends wird noch lange dauern, erste Rücktritte (zB des Chefs der Kapitol-Polizei) hat es bereits zu Recht gegeben. Und auch wenn der Schaden in Summe für so eine Aktion recht überschaubar geblieben ist (natürlich ist jedes verlorene Leben zuviel), so muss man sich nur vorstellen, was passiert wäre, hätte an diesem Abend nicht eine wütende Menge an verführten „Patrioten“, sondern eine Terrorgruppe das Herz der amerikanischen Demokratie gestürmt.

Imagetechnisch ist das Ganze natürlich ein Supergau für die USA: an den Reaktionen aus China („American spring“, in Anlehnung an den arabischen Frühling), dem Iran und anderen USA-feindlichen Ländern ist dies jetzt schon zu erkennen. Deshalb ist eine lückenlose Aufarbeitung notwendig, damit es nie wieder zu solchen Szenen kommt. Denn auch wenn sich manch amerikakritischer Europäer jetzt ins Fäustchen lacht: die USA waren und sind unser verlässlichster Partner in der Welt. Und auch wenn man sie für ihre Kriege verachten mag, so haben wir doch gemeinsame Wurzeln, Werte und Überzeugungen in vielen Lebensbereichen.

Was ist dran am Wahlbetrug?

Grundsätzlich: es gibt keine Wahl, bei der es zu keinen Unregelmäßigkeiten kommt. Wer das erwartet oder behauptet, ist naiv. Menschen machen Fehler; manche Menschen betrügen; Technik kann versagen.

Die entscheidende Frage ist: gab es wahlentscheidenden Betrug. Die Anschuldigungen in den Battleground States waren mannigfaltig, es gab zahlreiche Hearings, hunderte Aussagen. Also eigentlich klar, dass Trump betrogen wurde – oder?

Nun: wir leben in einem Rechtsstaat. Wenn es Betrug gibt, geht man zum Gericht, und das spricht – wenn es glaubhafte Beweise gibt – ein Urteil. Und das ist der springende Punkt: glaubhafte Beweise. Grafiken, die angeblich unerklärliche Sprünge im Zählprozess darstellen, wurden nicht nur von fact checkern widerlegt, sondern auch vom Gericht nicht ernst genommen. Selbst der Oberste Gerichtshof sprach den Klägern kein standing zu – und das obwohl Trump drei Richter dieses neunköpfigen Gremiums ernannt hat. Dies galt im Übrigen auch für viele Richter, die auf den unteren Ebenen des Rechtssystems Klagen abgewiesen haben.

Somit blieb Trump und seinen dahinschmelzenden Anwälten nur noch die ultimative Verschwörungstheorie: das Ausland steckt dahinter. Dummerweise konnte der von ihm ernannte für die Sicherheit der Wahl zuständige Beamte keine Einmischung feststellen – im Gegenteil: er nannte die Präsidentschaftswahl 2020 die sicherste aller Zeiten. Es versteht sich von selbst, dass er für diese Aussage gefeuert wurde – wie so viele von Trump ernannte Beamte und Minister.

Aber wer sogar jemanden auf der Fifth Avenue erschießen kann, und trotzdem von seinen Anhängern gewählt wird, lässt sich von alldem natürlich nicht aufhalten. Der letzte Kämpfer für die Wahrheit, gegen Kommunismus und Weltuntergang. Zumindest bis zum 6. Januar 2021.

Trumps Anhänger werden bleiben

Mit dem mittlerweile erfolgten de facto Rücktritt Donald Trumps via Twitter und der Zusage, dass Mike Pence die Inaugurationszeremonie Joe Bidens am 20.1.2021 besuchen wird, geht Trumps politische Karriere zu Ende. Manch einer spekuliert auf eine Rückkehr 2024; aber nach diesem 6.Januar fehlt dem Autor jede Fantasie, mit welcher Partei und auf Basis welcher Machtstruktur er zurückkehren könnte. Die Bilder werden ihn verfolgen, egal wohin er geht. Und abgesehen davon warten seine zahlreichen Gegner schon mit diversen Prozessen darauf, dass Trump seine Immunität verliert.

Seine Privatschulden sind dank der Generosität seiner Anhänger wohl kein allzu großes Problem: denn seit dem Wahltag dürften seine ständigen Emails mit der Bitte um Hilfe beim Kampf gegen den massiven Wahlbetrug mehrere hundert Millionen Dollar eingespielt haben. Abzüglich der Anwaltskosten für die 61 verlorenen Verfahren sollte genug übrig bleiben, die Schulden signifkant zu senken.

Trump mag politisch Geschichte sein – seine Anhänger sind es nicht. Ich werde hier nicht in die üblichen Beschreibungen a la „alter, weißer Mann“ einsteigen, denn diese sind spätestens mit dieser Wahl widerlegt: kaum ein republikanischer Kandidat konnte jemals so viele Schwarze und Latinos als Wähler gewinnen, wie Trump. Es reicht auch nicht, sie als „Deplorables“ zu bezeichnen, wie Hillary Clinton sie 2016 nannte – und u.a. deshalb auch die Wahl verlor.

Einige Anliegen dieser immerhin fast 75 Millionen Menschen sind durchaus nachvollziehbar: der Verfall mancher Städte (Seattle als unrühmlichstes Beispiel), die widerkehrende Doppelmoral der Medien, die oft schon übertriebene political correctness (dem religiösen Bekenntnis „Amen“ soll jetzt ein „Awomen“ beigestellt werden) sowie der oft hochnäsige Umgang der liberalen Bevölkerungsgruppen mit diesen Menschen hat dazu geführt, dass sie sich einem Rattenfänger wie Donald Trump zugewandt haben. Mit dessen Verschwinden sind die Probleme allerdings nicht gelöst. Dies sollten die Wahlgewinner bei künftigen Entscheidungen bedenken und nicht aus falsch verstandenem Siegesrausch die radikale Gegenposition zu Trump aufbauen. Die Spaltung der Gesellschaft sitzt tief – die Ursachen davon sind auf beiden Seiten zu finden.

Auch in Europa sollte man sich nicht zu früh freuen. Bekanntlich laufen die USA den gesellschaftlichen Entwicklungen immer um einige Jahre voraus. Wenn man sich ansieht, wie viele deutschsprachige Trump-Fanclubs es auf Facebook gibt, dann kann man erkennen, dass das Potenzial für diese Art von Populismus auch bei uns ein wachsendes ist. Parteien wie die AfD, der FN in Frankreich oder die FPÖ sind gekommen, um zu bleiben. Ganz abgesehen von den Entwicklungen in Ungarn und Polen, deren Abbau der Rechtsstaatlichkeit wesentlich weiter fortgeschritten ist, als Trump das dank der funktionierenden Institutionen in den USA jemals hätte erreichen können.

Bidens Macht ist nicht so groß wie sie scheint

Durch die Nachwahl in Georgia, bei der die Demokraten relativ überraschend beide Sitze im Senat gewinnen konnten (auch diese Niederlagen muss sich Trump bei einer kritischen Analyse anrechnen lassen), besitzen die Demokraten nun auch in der wichtigeren der beiden Kammern des Parlaments eine knappe Mehrheit – allerdings nur auf Grund der Zusatzstimme, die Vizepräsidentin in spe Kamala Harris bei einem Gleichstand abgeben darf.

Fast ebenso knapp ist die Mehrheit im Repräsentantenhaus, wo die Demokraten am 3. November relativ überraschend zahlreiche Sitze verloren haben.

Somit scheint der Durchmarsch der Demokraten nur auf den ersten Blick eine relative Machtfülle zu eröffnen. Als Beobachter des amerikanischen Politikgeschäftes weiß man, dass es nicht wie bei uns strenge Parteilinien gibt; oft stimmen Demokraten wie Republikaner gegen die Haltung ihrer Parteispitzen. Deshalb wird es für Joe Biden schwierig sein, die vor allem vom linken Flügel der Partei erwarteten großen Würfe durchzubringen – abgesehen davon, dass Biden (im Gegensatz zu Trumps ständigen Vorwürfen) kein Sozialist ist, sondern Zentrist.

2022 stehen die Zwischenwahlen an; und es ist aus heutiger Sicht durchaus wahrscheinlich, dass beide Häuser wieder zu den Republikanern wechseln. Somit ist auch die Zeit, in der größere Veränderungen vielleicht möglich sind, begrenzt.

Was ist zu tun & was gibt’s zu lernen

Die wichtigste Aufgabe neben der Corona-Pandemie (die im republikanischen Florida scheinbar erfolgreicher bekämpft wird, als in Kalifornien oder New York) wird für Biden – wie er auch selbst im Wahlkampf angekündigt hat – die Einigung des Landes sein. Das wird eine Mammutaufgabe; mit seiner ruhigen Art könnte er aber der Richtige dafür sein – auch wenn die Hoffnung angesichts des Drucks von Links nicht besonders groß ist.

Die richtige Strategie im Umgang mit dem Ex-Präsidenten wäre jene, die Biden seit dem Wahltag angewandt hat: Trump einfach ignorieren und sich auf seine eigenen, anstehenden Aufgaben konzentrieren.

Dies wäre im Übrigen auch eine Anleitung für progressive Kräfte in Europa: wenn jemand aus der rechten Ecke rülpst – einfach ignorieren und nicht bei jedem Vorfall aufschreien und dem Auslöser damit wieder Reichweite verschaffen. Ruhig bleiben, sich auf Sachpolitik konzentrieren und etwas für die Menschen bewegen. Denn das Theater interessiert niemanden außerhalb der eigenen Blase.

In Zeiten der Hysterie, die weiterhin zunimmt, egal zu welchem Thema, egal von welcher politischen Seite, wird es irgendwann (hoffentlich bald) soweit sein, dass die ruhigen, überlegten Stimmen mehr Gewicht gewinnen. Denn der ständige Wirbel und die wiederkehrenden Selbstinszenierungen werden den Menschen irgendwann zum Hals raushängen. So zumindest die Hoffnung des Autors.

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trump DonkeyHotey CC BY SA 2.0
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Diskussion (Ein Kommentar)

  1. sehr cool. gibt nicht viel hinzuzufügen ausser der hoffnung dass analyse und lernen gegen die hysterie doch noich durchsetzen wird.