Der Weisheit letzter Schluss – Trau, schau, wem.

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 32-33/23

Die meinem Wochenkommentar Titel gebende Redensart „Trau, schau, wem“ (die übrigens auch der Name eines Walzers von Johann Strauß ist) wird dem römischen Philosophen Seneca zugeschrieben. Die Kurzform „Vide, cui fidas“ (was wörtlich übersetzt „Schau, wem du traust“ heißt) wird von ihm, der als Stoiker galt, durch folgende Erklärung ergänzt: „Achte nicht nur darauf, ob wahr ist, was du sagst, sondern ob der, dem du die Wahrheit sagst, sie auch vertragen kann.“ Ein wichtiger Zusatz, wie ich meine.

Aber zurück zum Ausgangspunkt.

Immer schon war es ein wesentliches Merkmal von Informationen aller Art – vom Gerücht aus der Nachbarschaft bis hin zur Meldung in den Abendnachrichten -, dass sie aus vertrauenswürdiger Quelle stammen. Immer auch war es ein Merkmal eben dieser Informationen, dass sie sich auch als übertrieben oder gar falsch herausstellen konnten. Das führte sogar dazu, die Medienlandschaft nach Gütekriterien zu sortieren und sie in Qualitäts- und Boulevardjournalismus zu spalten, was in der öffentlichen Meinung dazu beitrug, den Qualitätsmedien alles zu glauben und dem Boulevard so gut wie nichts. Wie immer, ist das aber so einfach nicht. Denn auch so manche Story aus den so genannten „Schmierblättern“ hat zumindest einen wahren Kern und es lohnte sich, diese tiefer gehend zu recherchieren.

Der langjährige und verdiente Korrespondent des österreichischen Staatsfunks Christian Wehrschütz soll sich von russischer Seite einen Bären aufbinden haben lassen. Ein von ihm gestalteter Bericht zu Korruption und Zwangsrekrutierung in der Ukraine soll mit falschen, in keinerlei Zusammenhang mit dem Thema stehenden Bildern untermalt worden sein, wie „Der Standard“ berichtete. Der ORF dementierte zuerst, um dann doch die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse der Überprüfung durch die Faktenchecker-Plattform Mimikama zu bestätigen und eine interne Initiative im Hinblick auf die Sensibilisierung gegenüber Fake-News zu verlautbaren. Wehrschütz selbst, der als ehemaliges FPÖ-Mitglied und Chefredakteur der FP-nahen Neuen Freien Zeitung in seinen ersten Jahren als Journalist auch für die als rechtsextrem eingestufte Publikation Die Aula schrieb und deswegen in seinem Tun immer schon kritisch beäugt wurde, hat seinen Fehler schließlich eingeräumt und nahm dazu auch in einem offenen Brief Stellung – auch um sich gegen die ihm unterstellte pro-russische Haltung zu wehren. Eine Lanze für den ORF-Korrespondenten brach der KURIER-Journalist Armin Arbeiter in einem Kommentar am vergangenen Sonntag. „Wie viele vermeintliche Wahrheiten des ‚Britischen Geheimdienstes‘ schaffen es Tag für Tag ungeprüft in die Ticker aller Medien?“, lautet der Untertitel seines Beitrages. Bleibt auch die Frage, wie die Schlagzeile „Ein 23 Tage altes Baby starb bei einem russischen Angriff in der Region Cherson“ auf der Titelseite der Printausgabe der Oberösterreichischen Nachrichten (OÖN) vom 14.8.23 zu bewerten ist. Und: Ist die Ukraine-Gegen-Offensive jetzt tatsächlich schon gescheitert, wie die US-Geheimdienste in den letzten Tagen in zahlreichen Medien zitiert werden oder handelt es sich dabei nur um Druck auf die europäischen Verbündeten, nochmals mit Waffenlieferungen nachzulegen? Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Schlussfolgerung in einem Kommentar in den OÖN (hinter der Bezahlschranke) dazu: „Die Ukraine benötigt die Solidarität des Westens mehr denn je. Zumal es im eigenen Sicherheitsinteresse liegt, die gewaltsame Änderung von Grenzen in Europa entschieden zurückzuweisen.“ Spontan dachte ich an meine Reise nach Zypern im Jahr 2000, wo ich auf Einladung eines Freundes, der als Soldat in der dortigen UNO-Friedensmission diente, eine Woche in Famagusta im von der Türkei annektierten Nordteil der Insel verbrachte. Wird hier etwa mit zweierlei Maß gemessen?

Dass es sogar für Journalisten, die sich der Qualität verpflichtet fühlen, zunehmend schwieriger wird, Propaganda von korrekten Informationen zu unterscheiden, liegt auch an der Schnelllebigkeit des Nachrichtenbusiness. Da muss eine Meldung möglichst rasch an die Leser-, Hörer- und Seherschaft gebracht werden, gilt es ja in erster Linie, Aufmerksamkeit und Klicks zu generieren. Und das ist auch den in den letzten Jahren aus dem Boden sprießenden alternativen, freien oder unabhängigen Medien nicht fremd. In einem Kamingespräch, das ich mit dem investigativen Journalisten Thorsten Schmitt geführt habe und das demnächst bei Idealism Prevails veröffentlicht wird, hat er Kriterien für eine möglichst objektive Berichterstattung definiert: Recherche und Gegenrecherche sowie die Darstellung aller in der Sache vorhandenen Standpunkte sind nur die zwei wichtigsten Punkte. Und da haben beide Seiten in der Medienlandschaft so ihre Probleme, weil sie viel zu oft die andere Perspektive in ihrer Darstellung nicht berücksichtigen. Letztlich bleiben also alle irgendwie am selben Problem hängen, so auch das von Schmitt gegründete Medium und so fürchte ich – trotz aller Bemühungen – auch unsere unabhängige Medienplattform. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung – und die gilt es zu nutzen, um den hohen Ansprüchen immer besser gerecht zu werden. Das schreibe ich hiermit nicht nur den anderen, sondern ganz besonders mir und den Medien, für die ich aktiv bin, ins Stammbuch. Und auch die Konsumenten sollten hier durchaus kritischer werden und sich vor einem allzu schnellen Auf-eine-Seite-Schlagen hüten. Es bleibt herausfordernd, aber es lohnt sich, sich nicht mit der einfachen Lösung zufrieden zu geben.

Und so müssen sich alle (Chef-)Redakteure dem tagtäglichen Kampf um die wahren Informationen stellen, idealerweise in dem sie jenen Berichten den Vorzug geben, die direkt vor Ort recherchiert wurden und nicht bloß von einer der Nachrichtenagenturen abgeschrieben wurden. Ein zumeist unter den oben genannten Bedingungen kostenintensives und oft schier unmögliches Unterfangen.

Vielleicht sollte man jeden Beitrag in Zukunft mit dem Warnhinweis versehen, dass es sich womöglich um Fake-News handeln könnte. Im Zeitalter des Wokismus, der auf die Spitze oder sogar darüber hinaus betriebenen politischen Korrektheit, gibt es seit einiger Zeit genau diese Entwicklung. So hat der WDR nun Filme, die nicht zensuriert werden können, mit einem solchen Warnhinweis versehen. Das Programm enthalte „Passagen mit diskriminierender Sprache und Haltung“ kann man vor Videos mit Otto Walkes und Götz George als Schimanski lesen.

In den letzten beiden Wochen sind mir – so wie immer – viele Berichte untergekommen, die sich eine Erwähnung in meinem Kommentar verdient haben. Trotzdem treffe ich aus diesem Nachrichtenpool dann nochmals eine Auswahl, in der Hoffnung, meinem eigenen Anspruch im Hinblick auf die Qualität gerecht zu werden.

Aufgefallen ist mir – wie schon so oft – dass das „Volk“ wie einst im römischen Imperium durch Brot und Spiele bei Laune gehalten werden soll und das durchaus auch will. So haben einer Information eines Redaktionskollegens gemäß „68000 Menschen … den Flug von Harry Kane von England nach Deuschland am Flightradar verfolgt ;)“, was mich zu folgender Replik veranlasste: „Brot und Spiele – in einer ver-rückten Welt ist das Ver-rückte das neue ‚Normal’“.

Ver-rückt klingt auch so manche staatliche Subvention für „systemrelevante“ Investitionen. Wie die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtet will die deutsche Bundesregierung Halbleiterfabriken in Ostdeutschland mit Milliardensummen fördern, obwohl Wirtschaftsforscher an der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme zweifeln. Ein Redaktionskollege kommentierte das trocken mit den Worten: „Fetzig. 2.5mio Subvention pro Arbeitsplatz. Da eröffne ich auch eine Firma“.

Im Hinblick auf die Wahrheit und das Vertrauen hat die Politik schon den einen oder anderen Kredit verspielt. Nun muss sich auch der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz wegen mutmaßlicher Falschaussagen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor Gericht verantworten. Dem Politikwissenschafter Peter Filzmaier zu Folge würden sich dadurch die Fronten in der Causa wieder verhärten. Es gäbe drei Gruppen: „die Kurz-Nostalgiker, die Kurz-Skeptiker und die, die auf alles schimpfen“, lautet seine Analyse in den OÖN (hinter der Bezahlschranke). Der ÖVP jedenfalls käme das ein Jahr vor den nächsten Nationalratswahlen wenig gelegen, zumal das endgültige Urteil wegen der zu erwartenden Berufungen frühestens erst im nächsten Jahr zu erwarten ist. Kurz wäre damit nicht der erste Bundeskanzler, der wegen Falschaussage zu einer Strafe verurteilt wird. Der ehemalige SPÖ-Regierungschef Sinowatz musste 1992 aus einem ähnlichen Grund 360.000 Schilling bezahlen.

Um Politik besser verstehen zu lernen, plädiert die neue Bundesobfrau der Schülerunion Österreichs Charlotte Stütz für die verpflichtende Einführung von Demokratiebildung in den Schulen um jungen Menschen „besser über Abläufe und Institutionen Bescheid zu geben“. Was sie dabei allerdings vergisst, ist die Tatsache, dass die Institution Schule bzw. das Schulsystem sehr viele un-, manchmal sogar antidemokratische Elemente enthält. Man kann zwar über die Regeln auf dem Pausenhof abstimmen, aber die Gestaltung bzw. die Inhalte des Unterrichts betreffend ist man außen vor und muss sich quasi dem Diktat des Lehr- bzw. Stundenplans sowie des Lehrers fügen. Eine Initiative, die dieses Vorgehen in Frage stellt, hätte wesentlich höhere Priorität als die Forderung von Stütz.

Apropos Jugend: Auch heuer kann man noch bis 13.9. das Jugendwort des Jahres wählen. Zur Auswahl stehen unter anderen Darf er so, Yolo, Auf Lock oder Kerl*in.

Abschließend möchte ich nochmals auf das Motto, unter dem dieser Wochenkommentar steht, zurück kommen. In einem Newsletter des schweizerischen Magazins „Zeitpunkt!“ verweist die Redakteurin Christa Dregger auf einen wesentlichen Unterschied zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz und warum man daher ersterer mehr vertrauen könne: „Nämlich: Eine KI ist nicht in der Lage zu genießen!“ Zitiert wird auch der deutsche Liedermacher Konstantin Wecker („Wer nicht genießt ist ungenießbar“). Sie verweist dabei auch auf einen Podcast mit dem Mathematiker und Musikwissenschaftler Hans Cousto, der wie so viele Kunst begabte Menschen, die Grenzen des Menschseins ausgelotet hat und dabei auf das Alltagsleben der „Normalsterblichen“ weithin übersteigende Erkenntnisse gekommen ist.

Manchmal lohnt es sich eben auch für unsereins über den Tellerrand zu blicken, ja wenn möglich sogar zu hüpfen. „Wer ins kalte Wasser springt“ – weiß ein finnischen Sprichwort zu berichten -, „taucht ins Meer der Möglichkeiten.“ Und so ist es nicht unbedeutend, welchen Medien wir vertrauen und welchem kolportierten Weltbild wir uns widmen. Oder ob wir nicht doch lieber – zumindest auch – die eigenen Wahrnehmungen in die Betrachtung des Weltgeschehens mit einbeziehen. Das erfordert natürlich die eine oder andere Zeit, in der wir uns den Ereignissen auf unserem Planeten wirklich widmen. Die Sache aber ist es wert. Und die Spannung ist dabei – anders als bei so manchem medialen Hauptabend-Ablenkungsprogramm – hundertprozentig garantiert.

Fotorechtelinks:

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Otto_-_Werner_Rennen_2018_05.jpg

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Harald_Schmidt_(cropped).jpg

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WG – 2023 KW32-33-YOUTUBE-IPHP Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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