Die „Gebrauchsanweisung“ für dein Baby

Meinung

Die Wochen vor der Geburt meines ersten Kindes waren eine ganz besondere Zeit – so geht es vermutlich den meisten Müttern: voller Vorfreude und Erwartung einerseits; aber andererseits wuchs mit jedem Tag, den die Geburt näher rückte, meine Unsicherheit, ob und wie ich mit meinem Neugeborenen richtig umgehen werde. Ich war sicher nicht die einzige werdende Mutter, die solche Gedanken hatte. Wie jede Mutter habe ich mich bemüht, mein Kleines kennenzulernen, mich auf es einzulassen, habe es beobachtet und studiert, manchmal seine Bedürfnisse richtig gedeutet, manchmal ließ mich aber das Ratespiel verzweifeln, wenn ich nicht und nicht erkennen konnte, was denn das Problem war.

So oder ähnlich geht es vermutlich tagtäglich unzähligen frisch gebackenen Müttern – auch Priscilla Dunstan aus Australien. 1998 wurde ihr Sohn Tom geboren. Tom weinte sehr viel. Häufig trug sie ihn die halbe Nacht lang durch die Wohnung, sang ihm was vor, hielt ihn, streichelte ihn und schaukelte ihn – nichts half. Dabei fiel ihr auf, dass Tom nicht einfach nur weinte. Er machte Laute, verschiedene Laute. Erst danach begann er zu weinen. Irgendwie konnte sie nicht glauben, dass diese Laute keine Bedeutung haben sollten. Wenn sie keine hätten, wieso sollten sie dann unterschiedlich sein?

Priscilla begann, Toms Worte aufzuschreiben und zu studieren, sie führte über Wochen ein Baby-Tagebuch und lernte sie zu unterscheiden. Für Priscilla war das Erkennen eine Leichtigkeit, da sie mit einer besonderen Gabe auf die Welt kam: Sie hat ein fotografisches Gedächtnis für Laute. Diese Begabung veranlasste die ausgesprochen musikalische Priscilla, Gesang zu studieren, sie weiß daher besser als die meisten Menschen darüber Bescheid, wie Stimmbildung funktioniert und was der Körper tut, damit Laute entstehen. Dieses Wissen setzte sie ein, um zu unterscheiden und zu verstehen, was Tom brauchte. Sie entdeckte dabei mehrere eindeutig unterschiedliche Laute, wovon fünf Spezifische intensiver erforscht wurden, nämlich jene für „saugen wollen“, „müde sein“, „Bäuerchen machen müssen“, „Bauchweh“ und generelles Unwohlsein.

Ihre Erkenntnis war bahnbrechend: In den darauffolgenden 10 Jahren wurden über 1000 Babys aus 30 verschiedenen Nationalitäten und Kulturen mit den unterschiedlichsten Muttersprachen beobachtet. Die Forschungen ergaben, dass alle Babys auf der ganzen Welt die gleichen Töne ausstoßen, um sich mitzuteilen. Es ist anzunehmen, dass es seit Menschengedenken dieses Wissen um die Babyworte gab, dass es aber durch die zunehmende Kultivierung verschütt gegangen ist.
Dank Priscilla ist es heute möglich, sein Baby nur durch genaues Hinhören zu verstehen. Dafür braucht man kein fotografisches Gedächtnis für Klänge wie Priscilla es hat. Es ist völlig ausreichend die Ohren zu spitzen und zu lauschen. Die Dunstan Babyworte sind leicht unterscheidbar, da jeder einzelne ein typisches Merkmal hat, das jeder Mensch auf der Welt erkennen kann – Mamas wie Papas! Durch diese Entdeckung ist es möglich, dass auch Väter sofort hören, was ihr Babys braucht. Sie sind somit im Umgang mit dem Baby gleichauf und können schnell und kompetent aushelfen, wenn es ‚sagt‘ was es braucht.

Trotzdem sind diese Laute keine Sprache im herkömmlichen Sinn. Sprache ist zielgerichtet mit der Intention sich auszudrücken. Die Laute, die aus Babys Mund kommen, sind angeborene Reflexe. Das erklärt auch logisch, warum sie auf der ganzen Welt gleich sind, denn Niesen oder Gähnen sind ebenso weltweit die gleichen sozialen Zeichen. Diese Reflexlaute werden dadurch gebildet, dass das Baby ein spezielles Bedürfnis hat, auf das der Körper reagiert. So entsteht beispielsweise der Laut für Bäuerchen machen durch den Druck der Luftblase im Bäuchlein nach oben. Hingegen wird der Laut für Milch mit der Zunge am Gaumen gebildet, ebenso durch einen Reflex.

Diese Unterscheidung macht es Eltern möglich, souverän und richtig darauf zu reagieren, was das Baby braucht. Bislang neigen Mütter als natürliche Reaktion auf das Weinen ihres Kindes dazu, es an die Brust zu legen. Wenn das Baby dieses Bedürfnis aber gerade nicht hat, sondern zum Beispiel aufstoßen muss, stellt das Saugen an der Brust das Baby zwar vorübergehend ruhig, aber die weitere Folge ist intensiveres Schreien. Denn anstatt die Luftblase aus dem Bauch rauszulassen, wurde noch mehr Milch hineingefüllt. Der Druck im Bauch wird weiter nach unten geschoben und verursacht zu einem späteren Zeitpunkt Krämpfe und Koliken. Nicht nur beim Stillen oder Füttern schluckt das Baby Luft. Auch zwischen den Mahlzeiten während des Verdauungsprozesses bildet sich jede Menge Luft im Magen und Darm, die wieder raus möchte. Durch das Erkennen des Lautes und die richtige Reaktion darauf, nämlich das Baby hoch zu nehmen und die Luft nach oben entweichen zu lassen, schafft man Erleichterung und vermeidet oder lindert schmerzhafte Koliken.

Eltern, die gelernt haben, richtig auf ihr Baby zu reagieren, fühlen sich sicherer und können auf ihre Fähigkeiten als Eltern vertrauen. In weiterer Folge wächst die Bindung zum Kind und es verringert sich der Stress. Auch das Weinen wird weniger, der Schlaf ist erholter und länger für alle Familienmitglieder. Eltern gelingt es leichter, durch die erfolgreiche Betreuung ihres Kindes ein zufriedenes Familienleben zu schaffen. Besonders Väter bestätigen den positiven Einfluss auch auf die Partnerschaft. Wenn Mütter und Väter dieselben Fähigkeiten zur gleichen Zeit anwenden können, dann kann eine echte gemeinsame Elternschaft erreicht werden.

Babys benutzen diese Reflexe in den ersten drei Monaten. Werden sie nicht beachtet, so verschwinden sie einfach nach einiger Zeit. Lernt das Baby aber aus dem Verhalten von Mama und Papa, dass es verstanden wird, kann es diese als bewusst verwendete Ausdrücke beibehalten bis es lernt, die ersten echten Worte auszusprechen.

Obwohl es so einfach ist, wurden die Babyworte so lange nicht erkannt. Seit Jahrzehnten erforschen Pädagogen und Ärzte das Weinen von Babys, um Gründe zu finden und passende Lösungen, die Eltern helfen, ihr Baby zu verstehen und den Stress zu reduzieren. Dazu wurden aber bloß das Schreien und die Schreiphasen beobachtet anstatt das, was vor dem Weinen passiert. Erst Priscilla Dunstan hat sich mit der Vor-Schreiphase beschäftigt. Babys schreien nicht sofort, sondern sie geben durch ihre Reflexlaute zu verstehen, was sie brauchen. Nur dann wenn das Bedürfnis nicht befriedigt wird, entsteht in weiterer Folge das heftige Weinen. Durch genaues Zuhören kann jeder die Babyworte verstehen lernen. Es ist einfach und man braucht keine speziellen Talente dafür. In den ersten Tagen ist die Unterscheidung möglicherweise noch etwas schwierig, aber schon bald stellen sich erste Erfolge ein. Die Sicherheit wächst, der Alltag mit dem Baby wird rasch deutlich leichter und noch viel schöner!

Die Dunstan Babysprache lernen Eltern im Idealfall im letzten Drittel der Schwangerschaft oder auch noch in den ersten 12 Wochen nach der Geburt in 3-stündigen Intensivkursen. Auch in Österreich gibt es schon seit 2017 zertifizierte Kursleiterinnen, die Eltern die Methode erklären und sie darin schulen, die spezifischen Laute zu erkennen, zu unterscheiden und mit entsprechenden Beruhigungsmethoden darauf zu reagieren. Das führt zu einem sicheren Umgang und ein entspanntes Familienleben schon ab Babys allererstem Tag.

Detaillierte Infos zur Babysprache sind auf dieser Website zu finden.

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PNG – 003-YOUTUBE Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0