Der Weisheit letzter Schluss – Kriegslust

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 4/24

Nun haben sich auch Vertreter des österreichischen Bundesheers ausführlich zur aktuellen Weltlage geäußert. Am Montag wurde im Rahmen einer Veranstaltung die Publikation „Risikobild 2024 – Die Welt aus den Fugen“ vorgestellt. Nach der „wenig erfreulichen“ Analyse der momentanen Situation wurde u.a. davon gesprochen, das Militär des neutralen Staates „kriegsfähig“ zu machen und es auf einen möglichen Krieg zwischen der EU und Russland vorzubereiten. Was mich besonders erschreckt ist die Wortwahl: dachte ich bislang, der Schwerpunkt unseres Heeres sei die Landesverteidigung – wir haben aktuell ja auch ein Verteidigungsministerium und eine ihm vorstehende Ministerin, die selbst niemals Wehrdienst geleistet hat. Sie war viele Jahre in verschiedenen Funktionen im ÖVP-Bauernbund tätig, einige Jahre auch im „Cooperation Management“ der Kapsch Businesscom AG. Ihre dortige Aufgabe war das „Beziehungsmanagement des Unternehmens zu Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft“. Dass sie sich nun meiner Wahrnehmung nach zu jenen gesellt, die Krieg als eine mögliche und notwendige, vielleicht sogar sinnvolle Form der Konfliktaustragung sehen, ist für mich insofern nachvollziehbar, als es sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Handeln immer auch um eine Form des Krieges geht. Ziel ist es, den Konkurrenten auszustechen, ihn also zu besiegen. Kooperation ist nicht das Mittel der Wahl. Und das euphemistisch als Beziehungsmanagement genannte Beeinflussen von Politikern zum Wohle des eigenen Unternehmens ist nicht weit von der Propaganda entfernt, die man gerne ausschließlich diktatorischen Regimen in die Schuhe schiebt.

In diesem Zusammenhang ist mir die 1930 entstandene Novelle „Mario und der Zauberer“ von Thomas Mann in den Sinn gekommen, die von und mit Klaus Maria Brandauer im Jahr 1994 auch verfilmt wurde. Zum einen werden nationalistische Vorkommnisse in einem italienischen Badeort beschrieben, in die der Ich-Erzähler und seine Familie verwickelt werden. Zum anderen tritt mit dem Magier Cipolla ein Hypnotiseur in Aktion, der in der Lage ist, die Menschen mit seiner Ausstrahlung und seinen Ränkespielen zu verzaubern. Am Ende wird er vom Kellner Mario, der aus der Hypnose erwacht und dem Treiben des Scharlatans ein Ende setzen will, erschossen. Bei der Hauptfigur stellt sich trotz der Katastrophe Erleichterung ein, seine Kinder halten das Ereignis für eine weitere Inszenierung von Cipolla. Mann hat damit am Vorabend des Zweiten Weltkrieges eine erschreckende Perspektive verfasst, die später Realität geworden ist.

Warum mir dieses Stück Literatur eingefallen ist? Weil wir tatsächlich auch heute – wie wahrscheinlich immer schon und immer noch – von solchen Magiern und Hypnotiseuren umgeben sind. Die Tragik dabei ist, dass sie nicht immer eindeutig als solche wahrnehmbar sind und man daher ständig Gefahr läuft, ihnen auf den Leim zu gehen. Sind es also die Populisten, die uns „verzaubern“ wollen; sind es die amtierenden Politiker, die uns vor diesen Populisten warnen, aber ihre eigenen Spiele mit uns spielen? Es ist nicht einfach, dieses Kuddelmuddel zu durchschauen, aber es ist dennoch möglich abseits aller Beeinflussungen von allen Seiten zu einer eigenen Meinung zu kommen, selbst wenn man dann – zwischen den Stühlen sitzend – im schlimmsten Fall von allen Seiten geframed oder sogar gecancelt wird. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass das passieren kann; es ist nicht besonders angenehm, aber aus meiner Sicht notwendig, wenn man die recherchierten Informationen an andere authentisch weitergeben will. Diese Aufgabe sehe ich als Kernstück einer aufrichtigen journalistischen Arbeit.

Warum Menschen Lust auf Krieg haben oder anderen Lust auf diese destruktive Form der Konfliktaustragung machen, die dem Anlass niemals gerecht werden kann, ist für mich nur schwer nachvollziehbar. Es gibt psychologische Erklärungsversuche, auf die ich gerne einmal später eingehen mag. Für heute möchte ich nur meinem Unverständnis Ausdruck verleihen und uns alle davor warnen, sich auf diese schiefe Bahn zu begeben.

Benjamin Netanyahu hat es nach der heimtückischen Terrorattacke der Hamas, die damit auch das gesamte palästinensische Volk in Geiselhaft nimmt, getan. Joe Biden hat kürzlich Vergeltung für die Tötung amerikanischer Soldaten durch pro-iranische Milizen auf einem Stützpunkt an der syrisch-jordanischen Grenze angekündigt. Wir haben einige Jahre Krieg gegen Corona hinter uns und womöglich noch solche gegen andere Erkrankungen, wie etwa bösartige Tumore, vor uns. Auch im Sport herrschen nicht immer sportliche und faire Bedingungen: so mancher Wettkampf wird zum Krieg hochstilisiert, die Sprache dementsprechend martialisch.

Es gilt also, wachsam zu sein und auf die eigene Form der Konfliktbewältigung zu achten sowie sich nicht in Auseinandersetzungen hineinziehen zu lassen, die das Potential für einen kalten oder heißen Krieg haben. Die Gefahrenlage dafür, da möchte ich der Analyse des österreichischen Bundesheeres gerne zustimmen – nicht aber deren Schlüssen und den daraus resultierenden Plänen -, ist auch aus meiner Sicht im Kleinen wie im Großen größer denn je.

So ist auch jeder Wahlkampf von kriegerischem Getöse begleitet: es wird auf- und abgerechnet. Gespannt kann man beispielsweise sein wie die Koalitionspartner mit den einander im Lauf der Regierungsjahre zugemuteten Verletzungen umgehen. Zuletzt wurde ja gegen den Widerstand der Grünen Christian Filzwieser zum Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) bestellt, nachdem der Posten 420 Tage wegen dieser Uneinigkeit vakant geblieben ist. Seine Qualifikation besteht wohl hauptsächlich darin, dass er als „Experte“ im Fremden- und Asylwesen gilt und dass er als karenzierter BvwG-Richter seit 2022 Gruppenleiter für integrierte Grenzverwaltung, Fremdenpolizei, Asyl und Rückkehr im Innenministerium ist. An diesem Gericht fallen die Letztentscheidungen in allen Asylverfahren.

Der Internationale Gerichtshof hat im auf Bestreben Südafrikas in Sachen Völkermord durch Israel geführten Verfahren zuletzt eine salomonische Entscheidung gefällt. Zwar wird das Völkermordverfahren fortgesetzt, eine Feuerpause wurde allerdings nicht angeordnet. Sehr wohl aber müsse Israel, so die Richter, für eine Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen sorgen. Für den israelischen Premier ist diese Entscheidung eine Zumutung, weil sie der Situation aus seiner Sicht nicht gerecht wird. Er möchte weiter am Krieg festhalten bis die islamistische Hamas zerstört, der Gazastreifen „demilitarisiert“ und die palästinensische Gesellschaft „deradikalisiert“ ist. Eine konstruktive Lösung sieht anders aus. Seine Sichtweise gießt erneut Öl ins Feuer und wird die Hamas sicher nicht zur Aufgabe bewegen.

Der israelische Geheimdienst hat kürzlich Informationen veröffentlicht, in denen 12 Mitarbeiter des UNO-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) als Terroristen „entlarvt“ wurden. Mittlerweile liegen dem Wall Street Journal offenbar neue Geheimdienstinformationen vor, die davon berichten, dass rund 10% der 12.000 Mitarbeiter Verbindungen zur Hamas oder dem Islamistischen Dschihad hätten. Daraufhin hat ein Großteil der bisherigen Geldgeber (darunter auch Österreich) ihre Unterstützungszahlungen mit sofortiger Wirkung eingestellt. Auch dieses Ereignis kann man als kriegerischen Akt gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen einstufen. Für den israelischen Regierungschef ist das UNRWA ohnehin bloß eine Finanzierungsquelle für den Terrorismus der Hamas. Diese Sichtweise müsste man nicht teilen, man könnte differenzierter auf die Sache schauen, vor allem, weil die betroffenen Mitarbeiter umgehend suspendiert bzw. gekündigt wurden und der Begriff „Verbindungen“ natürlich nicht eindeutig belegt, dass sie notgedrungen in terroristische Aktionen verwickelt sein müssen.

Auch in den USA wurde kürzlich der „Krieg“ gegen rechtskräftig verurteilte Mörder auf ein unmenschliches Niveau gesenkt. Alabamas Gouverneurin Kay Ivy kannte kein Pardon und stimmte dem „Menschenversuch“, einen zum Tode Verurteilten mittels Stickstoff hinzurichten, zu. Für sie war es eine angemessene Strafe für dessen Vergehen. In diesen Fällen könnte man der Hobbs’schen Weltsicht verfallen, der den Menschen als des Menschen Wolf sah und damit die Humanisten als Naivlinge und Utopisten bloßstellte.

Noch einmal zurück nach Österreich, wo sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka über einen weiteren „Sieg“ im Kampf mit der Justiz freuen kann. Die aufgrund der Äußerungen des verstorbenen Chefs der Justizsektion Christian Pilnacek eingeleiteten Ermittlungen gegen Sobotka wegen Amtsmissbrauch wurden wegen mangelndem Anfangsverdacht eingestellt. Der zweithöchste Mann im Staat sitzt damit wieder fest im Sattel – auch in jenem der Vorsitzführung in den kommenden parlamentarischen Untersuchungsausschüssen.

Ein Menschenfreund und Humanist ist dieser Tage von uns gegangen. Der Schriftsteller Alfred Komarek, der in seinen Büchern über den Weinviertler Polizisten Simon Polt und den Publizisten Daniel Käfer, den es in die Sommeridylle seiner Kindheit ins Salzkammergut zurück zieht, das Menschliche in den Vordergrund stellt und an sich selbst Scheiternden sowie sogar Mördern das Menschsein nicht abspricht, ist mit 78 Jahren verstorben. Seine Lebensweisheit, die in seinen Protagonisten so wunderbar zum Vorschein kommt, könnte uns Maßstab sein in der Betrachtung einer Welt, die zwar das Gute will und doch tagtäglich das Böse schafft. Seine Polt- und seine Käferromane möchte ich abschließend allen empfehlen, die von Kriegslust gebeutelt sind. Die Welt ist nämlich nicht nur schwarz-weiß, sie hat alle Farben und deren Schattierungen. Es gilt, diese bloß wahr zu nehmen.

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WG – 2024 KW04-DE-IPHP Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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