Der Weisheit letzter Schluss – Kooperation statt Konkurrenz

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 21/23

Wie die Diplom-Biologin Felicia Molenkamp in einem lesenswerten Beitrag im schweizerischen „Zeitpunkt“ ausführt, gilt in der Natur der Grundsatz Kooperation vor Konkurrenz. „Je tiefer ich eintauche in das Thema Symbiosen, umso faszinierter bin ich von dieser allübergreifenden Lebensstrategie. Sogar unser Nahrungskreislauf beruht – ebenso wie der Atmungskreislauf – auf der ausgeklügelten Kooperation zwischen Flora, Fauna, Fungi und Mikroorganismen, zu denen nach neusten Forschungsergebnissen auch die Viren unsagbar viel beitragen“, schreibt sie dort. Und weiter: „Erstaunlicherweise stellt sich mittlerweile heraus, dass das, was Du und ich bisher als unser individuelles Ego wahrgenommen haben, eine holobiontische Existenz mit zahlreichen kooperierenden Gemeinschaften und Gesellschaften darstellt. Auch unser Mikrobiom als zweites «Ich» hat Gesellschaft bekommen: unser Virom als drittes „Ich“. Und gemeinsam ergeben sie einen vitalen Menschen.“

Nun: Natürlich und für das (Über-)Leben wichtig ist also nicht nur die Kooperation der Flora und Fauna, sondern auch das Zusammenwirken verschiedener Organismen und Organe im Menschen selbst. Nur jenes Wesen, das sich als Krone der Schöpfung mit dem Namen „Homo sapiens sapiens“ sieht, weil es sich eines großen Gehirns erfreut, das es angeblich sogar doppelt weise sein lässt, ist nicht in der Lage, die wichtigen Chancen des Zusammenwirkens und Zusammenarbeitens zum Wohl des großen Ganzen – also der Natur und der menschlichen Gesellschaft(en) – wahrzunehmen und zu nutzen.

Die vergangene Woche gibt wieder ein beredtes Beispiel dieses – unsere ganze Spezies zunehmend gefährdenden – Größenwahns wieder.

Beginnen wir bei der von der österreichischen Bundesregierung vorgestellten und von ihr selbst hochgelobten Pflegereform, die Caritas und Diakonie kritisch sehen und dabei keine „Reform“, sondern nur kleine Schritte erkennen können. Aus dem anfangs geplanten und groß angelegten Dialogprozess wurden letztlich von den verantwortlichen Politikern vorgelegte kleine Schritte, die der Situation keineswegs gerecht werden. Auch wurde die große Frage, warum es denn eine immer stärker wachsende Zahl von Pflegebedürftigen gibt, nur oberflächlich geklärt und keinerlei Ideen entwickelt, wie man Menschen auf ihr „Immer-Älter-Werden“ vorbereiten kann, so dass sie im Idealfall gesund und glücklich bis zu ihrem natürlichen Lebensende existieren können. Dabei zeigt sich auch eine klassische Vorgangsweise der aktuellen Medizin, die auf das Wirken der Produkte der Pharmaindustrie und damit auf Symptombekämpfung setzt, anstatt den Ursachen für Erkrankungen vorzubeugen. Nähme man letzteres wirklich ernst, müsste sich eine ganze Menge ändern, nämlich menschenwürdige, stressfreie Arbeitsbedingungen, eine existenzsichernde Einkommens- und Lebenssituation, saubere Umwelt (Wasser, Boden, Luft) und gesunde Ernährung (Landwirtschaft, Zubereitung). Das aber ist zu viel für die Politik – und auch das Bildungssystem, das uns bisweilen subtil aufs Konkurrenzieren statt aufs Kooperieren vorbereitet, versagt hier kläglich.

Stattdessen werden – wie in den letzten Jahren am Beispiel des Umgangs mit dem Covid-19-Virus erprobt – Vorschriften von oben erlassen, um die Menschen für die nun anstehenden Herausforderungen damit auf Linie zu bringen. Bestes Beispiel dafür ist die dringend nötige Änderung unseres Umgangs mit unserer Natur, den man nur noch auf den Klimawandel und das „böse“ CO2 reduziert und bei dem man auf diese Weise die Komplexität des Themas bei weitem verfehlt. Auch hier versagen Bildungseinrichtungen und Medien, die mithelfen könnten, Einsichten und Erkenntnisse jenseits der Mainstream-Meinungen zu transportieren. Stattdessen stellt das Netzwerk Klimajournalismus einen Kodex als Richtlinie für „eine angemessene, klare und konstruktive Berichterstattung über die Klimakrise“ vor. Wer den Kodex unterschreibt, verpflichtet sich „zu wissenschaftlichen Fakten“, räumt „Klimaberichterstattung Platz und Ressourcen ein“, zeigt „Lösungen und Handlungsmöglichkeiten auf“ und achtet „auf angemessene Bebilderung und Wortwahl.“ Zu befürchten ist, dass als wissenschaftliche Fakten nur jene zählen, die dem geltenden Narrativ entsprechen und alle alternativen oder komplementären Sichtweisen, die der Multidimensionalität des Themas gerecht würden, dem Kodex zum Opfer fallen werden.

Auch im Kriegsgeschehen zwischen der Ukraine und Russland setzt man weiter auf Eskalation. Kürzlich sollen in der Grenzregion Belgograd „russische Freiheitskämpfer“ Putins Armee angegriffen haben. Der Osteuropa-Kundige Gerhard Mangott fand dafür auf Facebook folgende Worte: „ In den USA ist man sicher nicht glücklich darüber, dass die ukrainische Armee gepanzerte Fahrzeuge (MRAPs) der USA russischen Neonazis zur Verfügung stellt, um damit in der russischen Region Belgorod einzufallen.“

Und auch im Kosovo wird einmal mehr dem Grundsatz „Frieden schaffen durch Waffen“ gefolgt.

Dort wurden am Montag dieser Woche 30 „NATO-Friedenssoldaten“ (O-Ton auf den blauen Seiten) bei Ausschreitungen zwischen Serben und Albanern verletzt und das, weil – so wird berichtet – militante Serben die gewählten albanischen Bürgermeister nicht akzeptierten. Das Problem, das hier wieder hochkocht, ist aber schon viel älter und es liegt weitaus tiefer. Verblüffend jedenfalls, dass die dortige KFOR-Friedensmission nicht unter Führung der UNO sondern des transatlantischen Militärbündnisses stattfindet, was sich kontraproduktiv auswirkt und der Kooperation der beiden einander feindlich gesinnten Volksgruppen für einen Friedensschluss absolut nicht dienlich ist.

Wie es in der Türkei weitergeht ist seit diesem Sonntag klar: der bisherige Amtsinhaber hat die Stichwahl gewonnen, wohl auch deshalb, weil ihn vor allem die „Auslandstürken“ mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt haben. Diese oft auch als 5. Kolonne Bezeichneten sind von der im Land grassierenden Inflation und den immer schlechter werdenden Lebensbedingungen nicht betroffen und sehen wohl in „ihrem Präsidenten“ einen starken Mann, der die türkische Identität in der Welt bestens repräsentieren kann. An den Siegesfeiern, die auch in der österreichischen Bundeshauptstadt laut und intensiv begangen wurden, entzündete sich einmal mehr eine innenpolitische Debatte über Migration und Integration.

Dass man auch heute noch – und das als Mehrfach-Geimpfter – in die „Corona-Maschinerie“ geraten kann, erzählen die Erfahrungen des guten Bekannten eines IP-Redaktionskollegen. Wegen Erkältungssymptomen hat sich dieser auf einer Kreuzfahrt in Italien zum Schiffsarzt begeben und musste sich dort einem Covid-19-Test unterziehen, der positiv ausfiel. Daraufhin wurde er unter Quarantäne gestellt und musste das Schiff schließlich verlassen. Die nächsten Tage verbrachte er auf einem Bauernhof, dessen Besitzer vom Staat Geld dafür bekommt, dass er positiv auf das Virus getestete Personen während der Quarantäne beherbergt und damit seinen Unterhalt verdient. Mit Covid-19 ist also weiterhin ein gutes Geschäft zu machen. Der besagte Mann ist mittlerweile wieder gesund in der Heimat angekommen.

In der dem Tode geweihten „Wiener Zeitung“ konnte man einen Kommentar zur Künstlichen Intelligenz (KI), der man ja gerne und durchaus berechtigt unterstellt, dass sie ja mit dem Menschen in Konkurrenz und nicht in Kooperation treten wird, lesen. Die Autorin befürchtet dadurch ein Zurück ins „mediale Mittelalter“ und begründet das mit den durch sie vereinfacht möglich gemachten Fake-Bildern. Tatsächlich nehmen solche kreierten Aufnahmen Einfluss auf das Weltgeschehen, wie das gefälschte Bild einer Explosion im Pentagon beweist, das im Internet geteilt wurde und kürzlich für Aufregung und Kursstürze an den Börsen sorgte.

Es ist trotz oder möglicherweise sogar wegen dieser und anderer technischer Errungenschaften nicht einfacher geworden, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Und daher lässt sich weiterhin trefflich auch über die Informationshoheit streiten, anstatt im gemeinsamen – auch medialen – Vorgehen, die Welt zum Besseren zu gestalten.

In einem Kommentar zum anfangs zitierten Beitrag über Kooperation in der Natur schrieb ein Leser trefflich: „Naja, der Mensch ist der einzige, der das nicht nur nicht versteht, sondern kaum je leben dürfte. Die Natur ist stets authentisch. Wo bleibt unsere Identität, und Authentizität? Wir müssen doch erst wieder lernen nach innen zu schauen – für länger als die gerade gebuchte Meditationssitzung.“ Und ein Redaktionskollege setzte noch eins drauf: “Man muss es den neoliberalen Ideologen lassen, dass sie es geschafft haben, Solidarität und Kooperation – Dinge die der Menschheit seit Anbeginn das nackte Überleben sicherten – als eine Art Auslaufmodell, Sozialromantik und Schwäche auszulegen.“ Die Sozialdemokratie nicht zu vergessen.

Dem möchte ich abschließend nur eins hinzufügen:

Es liegt auch hier an jedem Einzelnen, die Chancen für Kooperation, die sich tagtäglich bieten, zu ergreifen und zu nutzen. Nur so lassen sich Systeme von unten nach oben nachhaltig zum Besseren verändern.

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WG – 2023 KW21-YOUTUBE Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0