Der Weisheit letzter Schluss – Narrenfreiheit

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 6/24

Der Fasching ist vorbei und mit ihm unter anderem der Opernball und die an fast allen Orten im Land stattfindenden Umzüge am Faschingsdienstag. Nicht vorbei aber ist das närrische Treiben, das uns nicht nur bei den unsäglichen Aschermittwochsreden, sondern tagtäglich quasi ins Gesicht geworfen wird. Die Frage allerdings ist, ob die, die sich auf diese Weise zum Narren machen, tatsächlich jenen Narren gleichzusetzen sind, die in früheren Zeiten eine gesellschaftlich wichtige, kathartische Funktion eingenommen haben. Ich sage: Nein. Denn Realsatire nimmt der Satire ihre Wirkmacht. Wer selbst zum Spiegelbild mutiert, ist einfach nur noch lächerlich, bringt aber niemandem zum Lachen.

In seinem diesbezüglich wegweisenden Buch aus den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Titel „Das Fest der Narren – Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe“ stellt der Soziologe und Theologe Harvey Cox in seiner Festtheorie den Triumph des Harlekins, die Narrenfreiheit und den Karneval in den Mittelpunkt. Damit verbunden ist auch eine Abgrenzung von Alltags- und Festzeiten, von Narren und Normalsterblichen. Er stellt darin auch Ideal und Realität gegenüber, also, das Leben wie man es sich wünscht und die Realität des Alltags. Im Fest wird diese Differenz besonders deutlich, ja sie wird sogar provoziert. Sich wie ein Narr zu verhalten, sich über sich selbst und die Welt lustig zu machen, Grenzen zu überschreiten und den Exzess zu wagen, ist für Cox eine notwendige Basis jeglichen Feierns. Feste sind demnach etwas Schöpferisches, Phantasievolles, etwas, das das Leben lebenswert macht, weil es eine Zukunft denkbar macht, die frei ist vom Trott des Alltäglichen. In Zeiten wie den unseren – das stellt auch der Philosoph Konrad Paul Lissmann in einer Kolumne in der Kleinen Zeitung fest – ist selbst dem Fasching seine Narrenfreiheit verloren gegangen; zum einen, weil diese ganzjährig herrscht, zum anderen, weil es auch in dieser Zeit en vogue ist, politisch korrekt, ja sogar woke zu sein. Harvey Cox fragt, warum das Fest der Narren denn verschwand. Wohl deswegen, weil Tyrannen immer schon vor den Narren zitterten und Diktatoren das politische Kabarett fürchteten.

Wie tyrannisch ist also unsere Welt geworden.

Wie fehlen ihr die Hofnarren, die legitimiert waren, den Herrschenden Tag für Tag den Spiegel vorzuhalten und damit die unausgesprochene und unterdrückte Wahrheit ans Licht zu bringen. In ihm kanalisierte sich die für Veränderung und Wandel, ja Verbesserung notwendige Kritik. Die Kabarettisten meiner Jugend beherrschten diese Gabe noch vorzüglich, die Staatskünstler der Gegenwart haben sie der Präsenz im Staatsfunk und dem Geld geopfert, jene, die weiter über die Stränge schlagen, werden bestenfalls ignoriert, schlimmstenfalls gecancelt.

Wie fehlen ihr auch jene Zeiten, die man Feierabende und Feiertage nennt. Auch sie hätten sogar heute noch eine wertvolle Wirkung, da sie dem wirklichen Leben und dem Lebendigen gewidmet wären im Gegensatz zum Existieren. Diese Auszeiten von der Erwerbsarbeit, zu der wir verpflichtet sind, um unsere Existenz zu sichern, wären auch dieser Tage von wesentlichem Wert. Sie führten uns heraus aus dem Alltag und hinein in eine lebenswerte Zukunft, die wir in ihnen schon vergegenwärtigen.

In den tragischen Ereignissen rund um die „Affäre Föderl-Schmid“ hätten sowohl die eine als auch die andere Seite gut daran getan, den „Ernst der Lage“ nicht zu übertreiben. Was da alles allen Ernstes hineininterpretiert wurde, übersteigt die dahinterliegenden Fakten bei weitem. Bekannt ist, dass die langjährige Chefredakteurin der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ und nunmehrige Vizechefredakteurin der Süddeutschen Zeitung sich als Bollwerk gegen Rechts stationierte. Das hat ihr viele Feinde eingebracht, der Sache aber nicht wirklich gedient. Zu dünn oder zu weit hergeholt waren das eine oder andere Mal die recherchierten Fakten. Die von ihr angegriffenen Netzwerke schlugen nun offenbar mit gleicher Stärke zurück, ihre Doktorarbeit wurde zerpflückt, ihr mutmaßlich schludirger Umgang mit vermeintlich nicht von ihr verfassten Textpassagen, die sie als eigenen ausgegeben haben soll, als Mittel zur Diskreditierung verwendet. Und selbst den Moment, da sie sich dieser Situation auf fatale Weise zu entziehen versuchte, nutzten die einen und die anderen, um ihre „Wahrheit“ unter die Leute zu bringen. Auch in diesem „Krieg“ ist jene schon vor längerem gestorben. Eine differenzierte Sichtweise stünde allen Beteiligten gut zu Gesicht. Auf diese Weise ließe sich wahrlich ermitteln, was Sache ist und wie damit seriös am besten umzugehen wäre.

Apropos Krieg. Auch das Interview (hier in einer deutschen Übersetzung), das der geschasste Fox News-Anchorman Tucker Carlson kürzlich mit dem russischen Präsidenten führte, spaltete nicht nur die Journaille, sondern auch Hinz und Kunz. Die Aufregung war vorprogrammiert, um mitreden zu können, musste man sich ein Bild vom Gespräch machen, am besten, in dem man es sich anschaute. Besseres Clickbaiting ist kaum möglich – und Tucker Carlson hat nun auch in Europa einen Namen. Das Interview selbst brachte keine Neuigkeiten ans Licht, da Vladimir Putin sich einmal mehr in seiner Sicht auf die Welt erging. Die Tragik des Ganzen lag darin, dass Carlson dabei jegliche journalistische Professionalität außen vor ließ und – was wohl die Bedingung für diese Begegnung war – keinerlei kritische Fragen stellte. Auch wird es diesen unsinnigen Krieg in keiner Weise zum Besseren wenden, sondern einmal mehr Wasser auf die Mühlen derer schütten, die sich damit auf Kosten zahlloser Todesopfer ein goldenes Näschen verdienen, Motto: „Mit diesem Diktator lässt sich kein Frieden machen.“ Ist es dennoch legitim, in Zeiten wie diesen zu lachen? Es ist nicht nur legitim, es ist dringend notwendig. Über diesen bewaffneten Konflikt kann man sich genausowenig wie über das Drama im Gazastreifen lustig machen. Aber man darf sich alltäglich ein Timeout für ein kräftiges Gelächter nehmen, am besten in der Gemeinschaft mit liebe(volle)n Menschen. Das gibt die nötige Kraft um sich Realitäten wie diesen zu stellen und im Idealfall kreative Ideen zu entwickeln, wie die Welt zum Besseren gewandelt werden kann.

Auf der anderen Seite des großen Teichs hat der dort amtierende Präsident Joe Biden einen Phyrrus-Sieg errungen, der möglicherweise seine Nominierung für die Wahlen im November, mit größerer Wahrscheinlichkeit aber seine Wiederwahl gefährden könnte. Im Zusammenhang mit von ihm aus seiner Zeit seiner Vizepräsidentschaft an der Seite von Barack Obama in seiner Garage gehorteten Unterlagen kam der für diese Untersuchung eingesetzte Sonderermittler nämlich zu dem Schluss, dass Biden wohl zu alt und zu senil für eine Anklage sei. Diesen Eindruck konnte der interessierte Bürger durchaus schon das eine oder andere Mal bei dessen Auftritten gewinnen, der Präsident selbst wies und weist diese Tatsachen immer wieder aufs Schärfste, zuletzt auch aufs Wütendste zurück. Im Gegensatz zu Biden wirkt sein von den Republikanern designierter Herausforderer – trotz so mancher kruder Aussage, die nur all zu gerne in der sich vor ihm fürchtenden europäischen Welt breit getreten wird, der Ex-Präsident Donald Trump fit wie ein Turnschuh. Diese Tatsache lässt jetzt sogar bei den Demokraten die Alarmglocken schrillen, im Hintergrund wird schon seit längerem versucht, Biden zur Aufgabe zu bewegen.

Wenn man die USA ins Spiel bringt, dann kommt einem in Europa natürlich sofort die NATO in den Sinn. Und bei NATO denkt man an deren Erweiterung um zwei nordische Länder, wobei die Schweden noch immer auf das warten müssen, was den Finnen schon im Vorjahr gelungen ist: der Beitritt zum Militärbündnis nämlich. Dieser Beitritt war eine ziemlich konsensuale Angelegenheit im Parlament Finnlands, von den 200 Abgeordneten stimmten damals 184 dafür, nur 7 waren dagegen, der Rest enthielt sich oder fehlte bei der Abstimmung. Am vergangenen Wochenende kam es zur Stichwahl zum neuen Staatspräsidenten, der anders als in Österreich in Außen- und Verteidigungspolitischen Fragen auch Exekutivgewalt hat und den Regierungssitzungen vorsteht. Qualifiziert für die Nachfolge des seit 12 Jahren im Amt befindlichen liberal-konservativen Sauli Niinistö von der nationalen Sammlungspartei Kokoomus hatten sich dessen Parteikollege Alexander Stubb und der Grüne, nun schon zum wiederholten Mal antretende, Pekka Haavisto. Im Vorfeld gaben die beiden der Tageszeitung Helsingin Sanomat Antwort auf 38 Fragen, nicht weniger als 21 beantworteten sie auf genau dieselbe Weise. Ein eklatanter Unterschied bestand etwa bei jener Frage, ob eine Stationierung amerikanischer Truppen bzw. von Atomwaffen auf finnischem Staatsgebiet denkbar wäre. Stubb war dafür, Haavisto dagegen. Im knappsten aller Ergebnisse seit es finnische Präsidentenwahlen gibt, setzte sich Stubb mit 51,4 % der abgegebenen Stimmen durch. Ausschlaggebend war wohl die ländliche Bevölkerung, die mit dem in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebenden Haavisto keine rechte Freude hatte.

Weder in Finnland noch in anderen europäischen Staaten ist man seitens der Politik bereit, dem seit Jahren unter menschenverachtenden Bedingungen inhaftierten Investigativjournalisten und WikiLeaks-Gründer Julian Assange die Stange zu halten. Man verweist auf das laufende rechtsstaatliche Verfahren. Meine Meinung dazu habe ich in einer Videobotschaft deponiert, sie wird am Freitag dieser Woche gemeinsam mit anderen Statements in schriftlicher Form den von Candles4Assange und dem Österreichischen Journalistenclub (ÖJC) auf Initiative der Chefredakteurin von „Unsere ZeitenWende“ Daniela Lupp verfassten Offenen Briefen an die Botschaften von Australien, Großbritannien und den USA beigelegt. Anlass für die Aktion ist die letzte Anhörung von Julian Assange vor dem Supreme Court in London am 20. und 21.2.24 bezüglich der beantragten Auslieferung in die Vereinigten Staaten. Am 20.2. findet auch eine von der Initiative GGI organisierte Demo in Wien statt. Meine Stellungnahme schloss ich mit jenen Worten, mit der ich diesen Absatz beenden möchte: „Und meine Hoffnung ist, dass sich das menschenverachtende Verfahren, das eines Rechtsstaates unwürdig ist, im letzten Moment zum Guten wendet und Julian Assange sich als freier Mann endlich wieder seiner vorbildhaften und unentbehrbaren Arbeit als investigativer Journalist widmen kann.“

Das was man in den so oft – durch die von mir angeführten und all die anderen Beispiele – tristen Alltag mitnehmen könnte, ist ein Satz den der katholische Pfarrer und Schriftsteller Elmar Gruber geprägt hat: „Humor ist das einzige, was man im Leben ernst nehmen muss; Alles andere muss man mit Humor nehmen“, sagt er und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Hier schließt sich auch der Kreis zum Untertitel des Buches von Harvey Cox. Das Gelächter scheint tatsächlich der Hoffnung letzte Waffe – und sie ist spitz und wirksam, wird sie tatsächlich eingesetzt. Wir sollten uns dringend darauf besinnen, in dem wir den Feierabenden und -tagen wieder Leben einhauchen und uns tatsächlich regelmäßig die diesen Zeiten innewohnenden Exzesse gönnen. Und in dem wir uns des Humors erinnern, wenn wir mal in eine dieser vielen, erschütternden Alltagssituationen geworfen werden, wie sie uns unser Leben im Kleinen und die Ereignisse in der großen, weiten Welt zuzumuten im Stande sind. Damit ließen sich wohl sogar jene Kräfte wecken, die dringend benötigten Wandel á la longue ermöglichen. Die Zukunft ist und bleibt nämlich offen, sie muss keineswegs in den gerne verbreiteten Dystopien enden, von denen bloß die so genannten Mächtigen auf Kosten der auf dadurch ohnmächtig Gemachten profitieren würden.

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Joe Biden:

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Vladimir Putin:

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Tucker Carlson:

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Julian Assange:

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WG – 2024 KW06-DE-IPHP Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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