Der Weisheit letzter Schluss – Sind wir im Krieg?

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 5/23

„Wahlkampf ist die Zeit fokussierter Unintelligenz“, hat ein Wiener Bürgermeister im Jahr 2005 zum Besten gegeben. Ich möchte ihm gerne zustimmen und seine Aussage auf jegliche Art von Kampf erweitern, egal ob es um Macht, die Schlägerei um die nächste Ecke oder Krieg geht.

Derzeit befinden wir uns ja schon seit längerem im Krieg, wenn es nach den politisch Verantwortlichen geht. In einem Fall, nämlich beim Corona-Virus, nahmen sie den Begriff tatsächlich des öfteren in den Mund, im anderen Fall, nämlich dem Ukraine-Russland-Konflikt sind sie ein wenig zurückhaltender. Das ändert nichts daran, dass in so manchem Social-Media-Kanal davon die Rede ist, dass mit der Lieferung von 15 (!) deutschen Panzern der nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossene Waffenstillstand zwischen unserem Nachbarland und Russland de facto aufgehoben wurde und sich die beiden Staaten nunmehr wieder im Krieg befänden. Auch in diesem Fall hat die „fokussierte Unintelligenz“ die Oberhand und so manchen Troll wird’s mächtig freuen, wie schnell der Hausverstand aussetzt, wenn man nur ein wenig auf die Angst-Tube drückt.

In beiden Bereichen treibt die ohnehin – auch ohne solche Aussagen – ihr Unwesen.

Im deutschen Fernverkehr wurde nun mit 2.2.23 (just an jenem Tag feiert die katholische Kirche Lichtmess, ein auf das keltische Imbolc aufgepropfte Licht-Fest zur Hälfte des Winters) die Makenpflicht abgeschafft (wobei eine Empfehlung bleibt) und in Österreich kurz davor die Beendigung aller Covid-19-Maßnahmen mit Ende Juni angekündigt. Unbeeindruckt von beidem zeigt sich der Nachfolger jenes oben zitierten Stadtoberhaupts, da er und sein Gesundheitsstadtrat nach wie vor von der Wirksamkeit und daher Notwendigkeit dieser Maßnahme überzeugt sind. Geplant ist in Österreich allerdings die zeitnahe Einführung eines Krisen-Sicherheitsgesetzes, das derzeit in Begutachtung ist und schon eine Menge negativer Stellungnahmen aus der Bevölkerung erhalten hat sowie die vom Gesundheitsminister angekündigte Novellierung des Epidemiegesetzes, in dem all das wieder verankert werden soll, was der Bevölkerung schon in den letzten Jahren zugemutet wurde. Damit will man auch die nötige Verfassungskonformität solcher Aktionen verankern, zumal der zuständige Gerichtshof diesbezüglich – wie in einer Hangar-7-Diskussion auf Servus TV festgehalten wurde – ohnehin nur die formale Richtigkeit, nicht aber deren Sinnhaftigkeit überprüft habe. Demnach sind also auch völlig unwirksame Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte verfassungskonform. Da könnten wir uns diese Einrichtung gleich sparen und den Bundespräsidenten wirken lassen, der macht das genau so gut bzw. schlecht.

Nachdem – nicht nur – in Österreich schon seit Längerem eine gewisse Impf- und Maskenmüdigkeit eingetreten ist, stellt sich die Frage, was tu mit den abgelaufenen Restbeständen, die allerdings in die Millionen gehen und zudem Sondermüll sind. Die von der westlichen Welt abwertend als Entwicklungsländer bezeichneten Staaten haben auf diese Wohltätigkeit keine Lust und die Hersteller haben sich ja schon zeitgerecht von einer Rücknahmeverpflichtung frei gemacht. Das Geld dafür lässt sich auch nicht mehr zurückholen, waren die Produkte ja nicht auf Kommission gekauft. Bleibt wohl nur das Verbrennen, das bisserl CO2, das dabei entsteht, wird den so genannten Klimawandel sicher nicht nachhaltig verschlimmern.

Angesichts dieser Tatsachen fordert u.a. GGI – Grüner Verein für Grundrechte und Informationsfreiheit Transparenz und Evaluierung und ein Lernen aus den Fehlern für zukünftige ähnliche Situationen und sieht in der Aufarbeitung eine Chance für die Demokratie.

Im Osten Europas ist der schon seit Jahren schwelende Konflikt zwischen Russland und der Ukraine in eine bewaffnete Auseinandersetzung eskaliert, bei dem auf beiden Seiten und auf den die jeweilige Seite unterstützenden Kräften die Intelligenz Pause macht; also genauer gesagt, bei denen, die die Befehle geben und damit Millionen von unschuldigen Menschen in ihre Auseinandersetzung hineinziehen. Differenzierte Betrachtungsweisen werden umgehend als jeweils „staatsfeindlich“ abgestempelt, die Gesellschaft auch in den westlichen Ländern nach Corona erneut gespalten. Die Propaganda treibt seltsame Blüten, der russische Präsident sieht sich als Bollwerk gegen den „Nazismus“, das ukrainische Staatsoberhaupt als Retter der westlichen Zivilisation. Darum durften auch die EU-Granden am Ende der Woche nach Kiew reisen, wo sie herzlich empfangen wurden. Gleichzeitig wurden ihnen weitere Forderungen mit auf den Weg gegeben, so der ehestbaldige EU-Beitritt und weitere Waffenlieferungen, von Hilfsgeldern ganz zu schweigen. Das hat den Russland-Experten Gerhard Mangott zu einem sarkastischen Kommentar auf Twitter veranlasst. „Mein böses Fazit des EU-Ukraine Gipfels für ntv: Von der Leyen und Michel sind Handelsreisende in Sachen salbungsvoller Worte; Selenskyj und Schmyhal sind Verkäufer von Illusionen“, so der Innsbrucker Politikwissenschafter.

Kurz davor war auch der österreichische Bundespräsident in der ukrainischen Hauptstadt zu Gast, sein erster Staatsbesuch in seiner zweiten Amtszeit galt symbolträchtig dem dortigen Staatslenker – was dieser mit schönen Bildern auch kräftig auszunutzen wusste. Dem Wunsch nach einer militärischen Unterstützung erteilte er nicht nur wegen der Neutralität Österreichs eine Absage.  „Wir in Österreich müssen gestehen, unsere Armee nach zehn Jahren finanzieller Aushungerung so vernachlässigt zu haben, dass ich nicht wüsste, welche Waffen wir liefern könnten.“

Gleichzeitig bot er auch die Unterstützung bei Friedensverhandlungen an, kürzlich gab es dazu auch weitere konkrete Vorschläge. Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger stellte in einer Videobotschaft an das WEF-Forum in Davos seine Sichtweise vor. Demnach solle die aktuelle Frontlinie eingefroren werden und danach Friedensverhandlungen starten. Der Donbass und die Krim sollten dabei Russland zugeschlagen werden, während Russland die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine schlucken müsse. Für den Soziologen Max Haller ist es wichtig, dass sich die USA aus dringend nötigen Friedensverhandlungen heraushalten. „Jede einigermaßen realistische Betrachtung muss zu dem Schluss kommen, dass ein Sieg der Ukraine als höchst unwahrscheinlich scheint, aber ebenso wenig ein Sieg Russlands im Sinne von Putins anfänglichem Kriegsziel, die Regierung in Kiew abzusetzen“, schreibt er in seinem Gastkommentar für die Wiener Zeitung und plädiert für sofortige Bemühungen um einen Waffenstillstand ausgehend vom ukrainischen Präsidenten mit Unterstützung der EU und Zustimmung der USA. Das Kriegsgebiet sollte von militärischen Truppen geräumt werden und die UNO die Kontrolle übernehmen. Das hätte für beide Seiten eine sofortige positive Wirkung und wäre die Basis für anschließende Friedensverhandlungen.

Kollateralschäden gibt es auch durch diese Situation genug.

So wird der Krieg in der Ukraine dafür benutzt, die seit Monaten grassierende Teuerung zu begründen. Verblüffend dabei ist, dass die OMV kürzlich einen Rekordgewinn von fünf Milliarden (in Zahlen: 5 000 000 000) Euro feierte und deren Vorsitzender sich jeglichen schlechte Gewissens mit folgenden Worten entledigte: „Wir sind extrem stolz bei der OMV, dass wir ein Rekordjahr hinlegen konnten“ und man habe einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit geleistet, und „am meisten von einer erfolgreichen OMV profitiert die Republik Österreich“, da rund eine Milliarde in den Steuertopf fließe. Wie ein Redaktionskollege anmerkte, könnte man mit diesem „Kriegsgewinn 250.000 der 400.000 in Wien benötigten Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzen oder 300.000 Haushalte mit einer 10kwp Solaranlage ausstatten“. Schön wär’s. Stattdessen freuen sich die Aktionäre und auch für den Vorstand wird sicher eine „angemessene“ Prämie herausspringen. Ich muss dem Kollegen recht geben, wenn er sein Posting mit „Glaub die Leute kapieren es noch immer nicht“ schließt.

Ein weiteres prominentes Opfer dieser fokussierten Unintelligenz ist die vor allem durch ihre Auftritte in einer ORF-Show bekannte Band „Russkaja“. Die hat sich nämlich dieser Tage aufgelöst und die bevorstehende Tournee abgesagt. Aufgrund permanenter Shitstorms und einer „Flut von Hasskommentaren“ sei die Band am Ende, erklärte sie auf ihrer Facebook-Seite.

Für mich liegt die Beendigung des Krieges darin, dass man ihn erst gar nicht beginnt, wie ich in meinem Beitrag zur Rubrik „Friedensnoten“ im Online-Magazin RUBIKON geschrieben habe. Aber dazu bräuchte es einen völlig neuen Zugang zu Konflikten und deren Bearbeitung, begonnen beim Kommunikationsverhalten (siehe Paul Watzlawick, Friedemann Schultz von Thun und andere), der Äußerung von Bedürfnissen (wie Marshall B. Rosenberg sie in seinen Ausführungen zur gewaltfreien Kommunikation darlegt), dem Bewusstsein für Konflikteskalation (wie sie Friedrich Glasl beschrieben hat) und den Umgang mit Widerstand gegen eine untragbare Situation (wie man bei Martin Arnold nachlesen kann).

Abschließend noch ein kurzer Blick nach Niederösterreich, wo jetzt der ORF-Landesintendant noch vor Bekanntgabe der internen Untersuchungsberichts wegen der Vorwürfe, er hätte die Berichterstattung der Redaktion zu Gunsten der ÖVP organisiert, endgültig zurückgetreten ist. Der gelernte Österreich weiß auch, warum die Untersuchungsergebnisse erst nach der Landtagswahl in NÖ verlautbart werden, damit konnte nämlich die noch amtierende Landeshauptfrau ihr Narrativ, es handle sich bei den Vorwürfen um einen ORF-interne Intrige aufrechterhalten und sich noch jene Paar Prozentpunkt sichern, die eine Koalition aus FPÖ und SPÖ gegen sie ermöglicht hätten. Ich halte sie dennoch für rücktrittsreif, da ihre Glaubwürdigkeit wohl endgültig den Bach hinuntergehen wird. Aber politische Uhren ticken meistens anders – und in fünf Jahren kräht im selbstvergessenen Österreich kein Hahn mehr nach Ereignissen dieser Art.

Ich kann nicht verhehlen, dass auch mich bei solchen Vorfällen immer wieder mal der Mut verlässt. „Mut tut (aber) gut“, steht auf meiner Pinnwand und so möchte ich uns alle – mich eingeschlossen, ermutigen, diesen täglichen Zumutungen weiter die Stirn zu bieten und an einer besseren Welt zu arbeiten. Die Redaktion von Idealism Prevails, für die ich unter anderem schreibe, hat sich dies zum Motto gemacht: „Make the world a better place“. Und nur daran sollten wir uns von den nachfolgenden Generationen messen lassen.

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WG – 2023 KW05-YOUTUBE Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0