Der Weisheit letzter Schluss – „Verarsche“

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 5/24

Das Wort der Woche, das ich auch für den Titel meines Wochenkommentars verwendet habe – hat der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) geprägt. Andreas Babler kommentierte die Rede von Bundeskanzler Nehammer, die er wohl eher als Obmann der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) gehalten hat, mit eben jenem Wort. Damit war ihm ein Platz in Berichten und Kommentaren so ziemlich aller Medien sicher. Auch in seiner eigenen Partei gab es jede Menge Aufregung: es ging wieder einmal nicht um Inhaltliches, sondern um die „Performance“. So ziemlich alle, die sich dazu äußerten (mit wenigen Ausnahmen wie etwa dem Bundesgeschäftsführer der SPÖ, der wohl auch keine andere Wahl hatte), kritisierten Bablers Wortwahl.

Da ich mich sehr für Sprache interessiere habe ich mich mal bezüglich Synonymen schlau gemacht. Dabei stieß ich auf Möglichkeiten mit verschiedener Qualität und Bedeutung, u.a. verhöhnen, irreführen, täuschen, zum Narren halten, vormachen oder frotzeln. Ich gebe zu, Babler hätte sich auch dieser Worte bedienen können – aber er hätte die Chance auf die durch seine Entscheidung bedingte mediale Präsenz vertan. Schlagzeilen sind in einer Welt wie unserer wichtiger als differenzierte inhaltliche Betrachtung und Argumentation, die gerne als zu komplex, sogar als zu kompliziert, jedenfalls aber als zum Gähnen betrachtet wird. Einfache Antworten sind gefragt – und eine emotionale Ansage zieht mehr als jeder sachliche Diskussionsbeitrag.

Weil wir aber gerade beim Thema sind, möchte ich auf das eine oder andere Ereignis eingehen, auf das man auch mit diesem sehr drastischen Ausdruck reagieren kann.

Da wären wir zum Beispiel bei einem Großstreik in Finnland, der das Leben zum Ende der vorigen Woche für eine Zeit lang lahmgelegt hatte. Neben den Transportunternehmen (wie Post und Schwerverkehr) streikten auch die Bediensteten im öffentlichen Nah- sowie im Flugverkehr. Auch im Handel und in der Produktion riefen die Gewerkschaften zur Arbeitsniederlegung auf, sogar die Kindergärten für einen Tag schlossen. Diese Aktion diente dazu, Plänen der seit dem Vorjahr amtierenden konservativen Regierung des nordischen Landes entgegenzutreten. Geplant sind dabei Veränderungen im Arbeits- und Streikrecht sowie die Kürzung von Leistungen aus der Sozialversicherung. Das Argument der Regierenden klingt allerdings wie Verhöhnung: Die linke Vorgängerregierung habe den Staat an den Rand des Bankrotts gebracht, nun gelte es, den Gürtel enger zu schnallen. Tatsächlich war die Überschreitung der Budgetmittel aber vor allem dem „Kampf gegen die Pandemie“ geschuldet – etwas, was auch den Konservativen, wenn sie an der Macht gewesen wären, wohl nicht erspart geblieben wäre. Entlarvend bei diesen nun deswegen geplanten Maßnahmen, die auch im Regierungsprogramm so verankert sind, ist die Haltung der fundamentalen Finnen (Perussuomalaiset), die als nationalistische Populisten als zweitstärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen sind. Bürgernähe, die von solchen Parteien gerne geheuchelt wird, sieht anders aus. Auch deren Wähler dürfen sich durchaus vera….t, also getäuscht vorkommen.

Was war das für ein Hype um das angeblich letzte Aufeinandertreffen jener Fußball-Superstars, die die letzten Jahrzehnte mit ihrer Präsenz, aber auch ihrem völlig aus dem Ruder gelaufenen Einkommen geprägt haben. In Riad war für den Donnerstag der Vorwoche der ultimative Kick zwischen Al Nassr mit Christiano Ronaldo (CR 7) und Inter Miami mit Lionel Messi angekündigt. Die Tickets waren dementsprechend teuer (es handelte sich den mir vorliegenden Informationen zu Folge um einige tausend Euro für die besten Plätze), die Erwartungen mindestens genauso hoch. Der Bezahlsender DAZN übertrug das Match auch exklusiv in Deutschland und Österreich. Obwohl CR 7 noch am Vortag eifrig seine Freizeitaktivitäten postete und fit wie ein Fußballschuh wirkte, wurde am Matchtag verkündet, dass er aus Verletzungsgründen leider nicht antreten könne. Da waren nicht nur Tickets und Flüge sowie Unterkünfte gebucht, sondern die interessierten Menschen auch schon in Saudi-Arabien gelandet. Der nächste „Schock“ dann kurz vor Spielbeginn. Lionel Messi nahm nur auf der Ersatzbank Platz. Das Spiel ließ alles zu wünschen übrig, was man sich aufgrund des aggressiven Marketings für den Event erwarten durfte. Chancenlose Amerikaner gingen gegen das gut gelaunte Saudi-Team mit 0:6 sang- und klanglos unter. Auch Messi, der wenige Minuten vor dem Spielende (mutmaßlich aus vertraglichen Gründen – immerhin ging es ja um viel Geld, das man den Zuschauern aus der Tasche gezogen hatte) eingewechselt wurde, konnte daran nichts mehr ändern. Frotzelei pur. Aber das kann man im Fußballgeschäft ja an allen Ecken und Ende beobachten. Und wenn sich die deutschen Fans gegen den Einstieg eines – um es neudeutsch und entsprechend euphemistisch, ja sogar unverständlich zu formulierten – Players aus dem Private Equity Bereich in die Deutsche Fußballliga (DFL) wehren und diesen, ihren Unmut mit einem Tennisballhagel auf die Spielfelder kundtun, somit die Matches minutenlang unterbrochen werden müssen, so ist die Aufregung über die Angemessenheit der Proteste groß. Da muss sogar der Chefredakteur von Sport 1 ausrücken, um mitzuteilen, dass es sich um einen seriösen Deal handelt und man ohne Geld halt Fußball auf dem aktuellen Niveau nicht weiter spielen würde können. Ich – als Fußballfan von Kindheit an – möchte mich hier Andreas Babler anschließen. Sie wissen, was ich jetzt hier gern schreiben wollte.

Zurück in die heimischen Gefilde und drei Bereiche, bei denen es auch nicht erst seit gestern um Tarnen und Täuschen geht: das Bildungssystem, die unsägliche Pandemie-Thematik und die Pressefreiheit.

Am 21. Dezember des Vorjahres, also zu einem Zeitpunkt, an dem die Österreicher trotz der wirtschaftlich angespannten Situation schon längst dem Weihnachtstaumel ausgeliefert waren, verkündete die Bundesregierung im Rahmen einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Karl Nehammer, Bildungsminister Martin Polaschek. die Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit Katharina Rauch und Alexander Bogner von der Österreichischen Akademie für Wissenschaften (ÖAW) das Ende des Corona-Aufarbeitungsprozesses. Die Sache ist zwar terminlich längst gegessen, ich habe sie aus zeitlichen Gründen damals nicht mehr in meinen vorweihnachtlichen Wochenkommentar aufnehmen können, aber bei genauerer Betrachtung, für die ich mir nun – zwar verspätet aber doch – Zeit nehmen möchte, gibt es dabei einige wesentliche Ungereimtheiten.

Begonnen hat das ganze mit eben jener Pressekonferenz, die eiligst, nämlich um 11:18 Uhr für 13:30 Uhr am gleichen Tag via OTS-Meldung einberufen wurde. Bei der Präsentation des wissenschaftlichen Endberichts der ÖAW fehlte Gesundheitsminister Johannes Rauch. Im Bericht wurden fünf Themenfelder aus sozialwissenschaftlicher Perspektive betrachtet: die Polarisierung von Corona in der Öffentlichkeit, die Impflicht, Schulschließungen, die wissenschaftliche Politikberatung sowie die Wissenschaftsskepsis. Der Bundeskanzler räumte Fehler ein, entschuldigte sich aber einmal mehr mit dem jeweils bekannten Wissensstand, der diesen Entscheidungen, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt hatten, zu Grunde lag. Nicht thematisiert aber wurden die Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit zahlreicher einschneidender Maßnahmen in medizinischer, rechtlicher oder ökonomischer Hinsicht. Diese Betrachtungsweisen, die für eine wirkliche und vollständige Aufarbeitung von enormer Bedeutung wären, wurden auf diese Weise zu Grabe getragen. Punkt. Aus. Das mediale Echo auf diese Pressekonferenz war gering, die Reaktionen diverser Organisationen auf diese Ausführungen versandeten in den Weihnachtsferien. Trägt man der Tatsache Rechnung, dass es sich um einen Ausnahmezustand von annähernd drei Jahren gehandelt hat, in dem die Menschen- und Freiheitsrechte stark eingeschränkt und zeitweise für bestimmte Bevölkerungsgruppen sogar ausgesetzt waren, dann ist dem Thema mit dieser Veranstaltung noch keineswegs genüge getan. Die Frage ist, ob es vor den Nationalratswahlen im Herbst nochmals aufgegriffen wird oder ob es einen – wenn auch ungeschriebenen – Konsens aller Parteien gibt, die Thematik ein für allemal ad acta zu legen. Es wäre schade, aber es spräche für die These, dass es so ziemlich egal ist, wem man seine Stimme gibt, wenn man eine wirkliche Aufarbeitung dieser Zeit anstrebt.

Bleibt noch das Bildungssystem, insbesondere die Situation in den Schulen. In den letzten Tagen wurde von einer stark wachsenden Zahl von Suspendierungen von Schülern, vor allem an den Mittelschulen, geschrieben. Eine solche Suspendierung kann ausgesprochen werden, wenn durch das Verhalten eines Schülers „eine dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderer an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums“ vorliegt. Sieht man seitens der Bildungsdirektion Wien das Anwachsen der Betroffenen eher einer verstärkten Sensibilisierung der Schulen geschuldet, schlägt die Lehrergewerkschaft einmal mehr Alarm: Die Auswüchse der körperlichen und psychischen Gewalt seien einfach heftiger geworden. Einig sind sich die Gewerkschafter und der Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) bei den Maßnahmen. So sollen Time-out-Klassen, in denen die Schüler von Fachleuten wieder so weit gebracht werden, um wieder am Regelunterricht teilnehmen zu können, eingeführt werden. Die Gewerkschaft fordert zudem zusätzliches Personal wie Schulpsychologen und Sozialarbeiter. An den Grundfesten des Systems soll aber nicht gerüttelt werden – dabei wäre dies eine der wesentlichsten Maßnahmen, um Schule nachhaltig und wirksam zu reformieren. So dürfen sich alle Beteiligten weiterhin zum Narren halten lassen.

Ein nicht nachvollziehbares Ereignis, das weit über die titelgebende Bezeichnung hinausgeht, stellt die Kündigung des Kontos der kritischen Print-Monatszeitung „Die Krähe“ durch die Bank 99 (ehemals Postsparkasse) dar. Wie deren Chefredakteurin Liza Ulitzka auf der Website des Mediums schreibt, erhielt sie bereits am 11.1. dieses Jahres ein Einschreiben, in dem ihr die Kündigung ohne Angabe von Gründen mitgeteilt wurde. Ulitzka versuchte umgehend eine Klärung, erhielt aber weder bei der Hotline noch von ihrem Bankberater Aufklärung. „Genaue Gründe weiß ich leider auch nicht, hier ist nur vermerkt, dass es eine geschäftspolitischer Entscheidung war“, wird er zitiert. Eine Umwandlung der offenbar als Privatkonto eröffneten Bankverbindung in ein Geschäfts- oder Vereinskonto sei – entgegen ursprünglicher Vereinbarungen – laut der Bank nicht möglich, schreibt Ulitzka. Bei genauer Betrachtung der Situation bleibt mehr als ein schaler Beigeschmack, es darf durchaus spekuliert werden, dass die Gründe womöglich tatsächlich in der nicht erwünschten Berichterstattung von „Die Krähe“ liegen. Die Chefredakteurin gibt sich abschließend aber kämpferisch: Sie müsse sich nun nach einem neuen Konto umsehen, was mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden sei, meint Ulitzka und: „Unsere Arbeit wird trotzdem weitergehen.“ Das wünsche ich ihr und der „Krähe“ von Herzen.

Abgesehen von diesen von mir für diesen Wochenkommentar ausgesuchten Ereignissen, könnte man durchaus grundsätzlich zu der Auffassung gelangen, dass seitens der Verantwortungsträger wesentlich mehr Gehirnschmalz und auch Geld ins Tarnen und Täuschen gesteckt wird, denn in wirkliche Weiterentwicklung und Veränderung. Die Wahlkämpfe, die uns bevorstehen, werden davon wieder ein beredtes Zeugnis geben. Damit wird abermals bestätigt, dass Veränderungen wohl nicht von oben, sondern immer nur von Unten und vom Kleinen zum Großen entstehen können. Diese wissenschaftliche Erkenntnis wird aber nach wie vor und von allen Beteiligten – oft auch von jenen, die Veränderungen wollen – weitestgehend ignoriert. Es gilt sie endlich ins Rampenlicht zu hieven und den eigenen Hintern in Bewegung zu setzen. Nur dadurch wird sich á la longue der gewünschte Wandel einstellen.

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WG – 2024 KW05-DE-IPHP Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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