Warum wir eine Medienrevolution brauchen – Reinhard Jesionek

Gesellschaft

Der im Jahr 2000 mit einer Romy ausgezeichnete Ex-ORF-Moderator Reinhard Jesionek hat in seiner 37jährigen Berufskarriere die Metamorphose des Fernsehsektors hautnah miterlebt: vom Monopol des Staatssenders ORF bis zur heutigen Kommerzialisierung mit zahlreichen Privatsendern.

Zu Beginn blickt Jesionek auf die Anfänge seiner Karriere zurück: damals wurde Qualität noch sehr streng überprüft – sowohl was die Recherche, als auch die ORF-Bediensteten und ihre Ausdrucksweise betrifft. Die Bevölkerung, die mit dem Staatsfernsehen aufgewachsen ist, sieht dieses Qualitätsmerkmal bis heute gegeben – obwohl es nach Jesioneks Erfahrung schon längst nicht mehr so ist, jedenfalls was die Recherche der verbreiteten Nachrichten betrifft. Fernsehen verbreitet heute Meinungen. Und auch wenn die Fernsehanstalt in den 80ern streng hierarchisch organisiert war, so wurden kritische Stimmen dennoch wesentlich mehr geschätzt, als heute: heute riskiert man seinen Job, wenn man sich entgegen des jeweils gültigen Narrativs äußert.

Damals wie heute beinhaltet die politische Besetzung des ORF ab dem mittleren Management aufwärts das Problem, dass nicht nach Qualifikation, sondern nach Parteibuch besetzt wird. Früher war es aber zumindest noch so, dass die betroffenen Personen aus ihrem Selbstverständnis heraus der journalistischen Ethik verschrieben waren. Heute hingegen werde fast nur noch nach Gesinnung agiert. Diese Entwicklung begann in etwa mit der Jahrtausendwende.

Die oft propagierte Entpolitisierung des ORF sei eine völlige Illusion: der Stiftungsrat werde weiterhin vom Parlament im Proporzsystem beschickt. Interessant sei auch, dass kein einziges Mitglied des Stiftungsrates, der immerhin über das Programm bestimmt, eine Affinität zu Medien hat.

Der Großteil der Mitarbeiter des ORF ist über 40 und hat lukrative Arbeitsverträge aus alter Zeit. Entsprechend sind die Handlungsmöglichkeiten dieser Leute, wenn sie nicht ihren Status riskieren wollen, sehr eingeschränkt. Eine Revolution ist daher nicht zu erwarten – sondern das Gegenteil: Anpassung.

Der ORF lukriert pro Jahr 1 Milliarde Euro Umsatz, 643 Millionen davon sind GIS-Gebühren, 219 Millionen kommen aus Werbeeinnahmen; der Rest sind sonstige Einnahmen, die zu einem Gutteil auf offenes und verdecktes Product Placement zurückzuführen sind. Jesionek bringt im Folgenden ein Beispiel, wie Mobilfunkbetreiber intervenierten, damit eine 5G-kritische Stimme in einem seiner Beiträge herausgeschnitten wird. Diese Wünsche werden nicht selten erfüllt, schließlich will man potente Geldgeber nicht vergrämen.

Die aktuelle Berichterstattung über die Coronapandemie sieht Jesionek angesichts der massenhaften Geldflüsse von der Regierung Richtung Medien sehr kritisch: es werde nur noch eine Position bzw ein Narrativ in allen Sendungen gezeigt. Kritik ist unerwünscht, eine ausgewogene Berichterstattung findet nicht mehr statt. Dabei werden keine vorsätzlichen Lügen präsentiert, sondern es werden bestimme Informationen ausgelassen.

Die überraschend geringe Zahl an Experten, die man täglich im Fernsehen sieht und die nicht immer eine tatsächliche Expertise im aktuellen Thema aufweisen können, der Verfall des wissenschaftlichen Diskurses (es gibt nur noch die eine Wahrheit), Framing und die Generierung von Wahrheit durch ständige Wiederholung und die Auswirkungen des ökonomische Drucks auf die Medien sind weitere Themen dieses Gesprächs, das von Gunther Sosna geführt wurde.

 

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Reinhard Jesionek Wolfgang Müller CC BY SA 4.0