Der Weisheit letzter Schluss – Aufbruch & Neubeginn

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 11/24

Der Frühling ist kalendarisch erst wenige Tage alt und Ostern steht diesmal schon recht früh am Plan, nämlich – wie immer – am ersten Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond, der heuer bereits am 25. März aufgeht. Diese Zeit des neuen Aufblühens der Natur wurde von den Menschen seit jeher als „Wunder“ erlebt; früher, als man sich der Natur noch stärker ausgesetzt sah, noch mehr als heute – da man sich im städtischen Umfeld von der natürlichen Umgebung schon meilenweit entfernt hat. Der Beginn des Lenz fällt auf die sogenannte Tag- und Nachtgleiche, die auf der ganzen Welt dazu führt, dass die Tage (auf der Nordhalbkugel) bzw. die Nächte (im globalen Süden) länger werden. In unseren Breiten geht es also aufwärts mit dem Tageslicht; und alles, was über die Wintermonate still vor sich hingekeimt hat, bricht plötzlich hervor. In den gemäßigten Klimazonen war das bislang zumindest so, dass es zwischen Sommer und Winter zwei Übergangsjahreszeiten gab. Durch die Veränderungen der klimatischen Bedingungen tendieren diese Regionen nun eher zu nur mehr zwei Jahreszeiten wie das bislang nur in den klimatischen Randgebieten ganz im Norden bzw. Süden und rund um den Äquator der Fall war. Nicht nur deshalb verliert das als Ostern bezeichnete Fest an Bedeutung. Auch die Deutungshoheit der Kirche, die sich dieses ursprünglich der keltischen Göttin der Fruchtbarkeit und des Ackerbaus Ostara (vom Lateinischen Aurora, zu deutsch Morgenröte) gewidmete Fest einverleibt hat, hat stark gelitten; und so bleibt oft auch von diesem durchaus bedeutsamen Ereignis ein Feiertag des gesteigerten Konsums. Von Ostara stammt auch der Begriff Osten und auch der Name unseres Heimatlandes Österreich, ursprünglich Ostarrichi. Der Bezug lässt sich zwar herstellen, ist aber auf den ersten Blick nicht ersichtlich: im englischen Austria noch weniger, während das finnische Itävalta auf Deutsch „Ost-Reich“ meint und damit dem Ursprung des Namens Rechnung trägt.

Was also aus Ostern heute noch schöpfen? Aufbruch und Neubeginn …

Machen wir vor der Begründung meiner These noch einen Blick auf das Weltgeschehen der letzten Woche.

Da gab es ein neues Migrationsabkommen zwischen der EU und Ägypten, das den Europäern weniger Migration und dem Land am Nil mehr Geld, nämlich 7,4 Milliarden Euro bringen soll. Die Hoffnung der mitgereisten EU-Politiker, unter ihnen auch der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer, ist u.a. auch die Nichtöffnung der Grenze zum Gazastreifen, weil man andernfalls eine Fluchtwelle nach Europa befürchtet – und das noch dazu vor den Wahlen zum europäischen Parlament. Wie menschenverachtend muss man sein, um diese Argumentation zu rechtfertigen. Für die EU-Kommissionspräsidentin, die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, ist die Vereinbarung ein großer Erfolg. Auf X (vormals Twitter) postete sie folgende – euphemistische und schönfärbende Worte: „Egypt is a pillar of stability and security in the Middle East. We will work hand in hand with Egypt and other partners to channel aid to Gaza via all possible routes. Civilians must be protected and there can be no forced displacement of Palestinians from Gaza. We want to work towards a lasting peace based on a two-state solution.“ Politikwissenschafter Gerhard Mangott kommentierte trocken und punktgenau: „Egypt is a corrupt military dictatorship.“ Und das schon seit rund 10 Jahren. Die Menschen des Landes haben sich 2011 dem damals von Tunesien ausgehenden „Arabischen Frühling“ angeschlossen, worauf der langjährige Präsident Hosni Mubarak zurücktrat. Nach einer kurzen Herrschaft des Militärs wurden freie Wahlen durchgeführt, aus denen die Muslimbruderschaft als Sieger hervorging. Aber schon 2013 wurde diese Periode durch einen Militärputsch unter Führung von Feldmarschall Abd al-Fattah-as-Sisi beendet. Im Folgejahr fanden neuerlich Wahlen statt, die der Feldmarschall und auch heute noch amtierende Präsident „gewann“.

Demokratie ist halt eine recht aufwendige Regierungsform und auch jene Länder, die behaupten lupenreine Demokratien zu sein, müssen bei genauerer Betrachtung – zum Teil sogar ordentlich – Federn lassen. Und damit ist nicht nur Russland gemeint, wo der amtierende Präsident Vladmir Putin mit dem besten je erzielten Ergebnis in seinem Amt für weitere sechs Jahre bestätigt wurde. Die Umstände, unter denen dieses zu Stande kam sind durchwegs unklar – Spekulationen dazu gibt es aber genug. Von außen betrachtet schaut der „Wahlgang“ eher nach einer Abstimmung über einen einzigen Kandidaten aus, dessen Sieg schon im Vorhinein klar war.

Auch in den USA herrscht schon Wahlkampf – auch wenn es sich derzeit nur um parteiinterne Vorwahlen bei Demokraten und Republikanern handelt. Obwohl hier tatsächlich ausgewählt werden kann, stehen auch hier die Sieger eigentlich schon fest. Es wird im November wohl zum Showdown zwischen dem amtierenden Staatsoberhaupt Joe Biden und seinem Vorgänger Donald Trump kommen, der in Europa als der personifizierte „Gottseibeiuns“ gilt. So gab es dieser Tage medialen Aufschrei, weil er von einem „Blutbad“ im Falle seiner Nichtwahl gesprochen haben soll. Bei genauerer Betrachtung des Kontextes bezogen sich diese brachialen Worte allerdings auf die von ihm befürchteten Folgen für die Autoindustrie. Meldungen wie diese, die den Zusammenhang verleugnen, helfen bei einer realistischen Einschätzung nicht weiter. Mit seinen Kraftausdrücken, die auch Joe Biden nicht fremd sind, frönt er einer typisch amerikanischen Eigenschaft, sieht man sich doch als die „First Nation“ und den Präsidenten als den Heiland der Welt. Der will Trump allerdings nicht wirklich sein – oder nur für jene, die seiner Ideologie folgen. Zudem schwimmen den USA diesbezüglich schon seit Jahren die Felle davon und der große amerikanische Traum von der Weltherrschaft scheint tatsächlich ausgeträumt. Aber verletzte Egos sind – um einen Vergleich aus der Fauna zu verwenden – wie verletzte Tiere brandgefährlich. Sie haben nichts mehr zu verlieren.

In Österreich tut man sich mit direkter Demokratie zusehends schwer. So überlegt man, die Zahl der Volksbegehren einzudämmen, in dem man die Bedingungen verändert. Die Kleine Zeitung widmete diesem Ansinnen einen unterstützenden Beitrag, in dem dort das direktdemokratische Mittel als Geschäftsfeld denunziert wurde. Betrachtet man aber den Aufwand, den Menschen auf sich nehmen, um für ihre Meinung Unterstützer zu finden, dann ist das Ganze wohl eher ein Verlustgeschäft. Von den 14 in dieser Eintragungswoche aufgelegten Begehren kamen nur vier auf die für eine Rückvergütung notwendigen 100.000 Unterschriften. Anstatt also die finanziellen Hürden zu erhöhen bzw. die Rückvergütungen zu verringern, sollte man sich – wie der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik fordert – eher Gedanken machen, wie es gelingen könnte, dass erfolgreiche Begehren von der Politik ernst genommen werden und nicht in irgendwelchen parlamentarischen Ausschüssen oder gar Schubladen verschwinden.

Gedanken über eine politische Wende für Österreich macht sich auch NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger und legte diese in einem Buch mit dem Titel „Wendepunkt – Wie wir das wieder hinkriegen“ vor. Sie möchte mit ihrem Programm die Mitte der Gesellschaft stärken und formuliert das auf ihrer Website so: „Eine andere Art der Politik mit einem anderen Politikverständnis ist möglich. Dafür muss ein Pakt des Vertrauens geschlossen und eine Reformagenda ausgearbeitet werden. Das ist mein Ziel: Echte Chancengerechtigkeit, ein neues Aufstiegsversprechen für die Mitte, ein neuer Generationenvertrag zwischen Jung und Alt, weniger Bürokratie und mehr Entlastung sowie die Stärkung des Rechtsstaats.“ Aufhorchen ließ sie mit dem konkreten Vorschlag eines Grunderbes von 25 Tausend Euro, das jeder 18-jährige als Basis für das weitere Leben erhalten solle. Die Idee ist zwar nicht neu, allerdings wurde sie bislang nicht von liberalen sondern eher linken Parteien ins Spiel gebracht.

Was verblüfft, ist der Rekordgewinn der mit 51% teilverstaatlichen Verbund AG. Über eine Milliarde, die dadurch in die Staatskasse geflossen sind, wird gejubelt. Auf der anderen Seite muss man allerdings die Ausgaben für Unterstützungsleistungen für die Bevölkerung wegen der exponentiell gestiegenen Strompreise im selben Zeitraum gegenrechnen. Und damit legt sich die Jubelorgie gleich wieder. Nachhaltiges Wirtschaften und Haushalten eines Staates lässt sich auch wesentlich anders anlegen, vor allem von denen, die behaupten, Wirtschaftsweise zu sein und die „Schwarze Null“ zum Fetisch erklären.

Heiß diskutiert wird auch der Aufbruch in die neue Form der Ernährung durch im Labor erzeugtes synthetisches Fleisch, das als tierwohlschützend und umwelt- bzw. klimafreundlich beschrieben wird. Pragmatisch gesehen wird es wohl tierische Fleischprodukte nicht gänzlich ersetzen sondern eher ergänzen. Es wird sich dafür sicher ein Markt finden – ein Bauernsterben wird es wohl eher nicht auslösen, möglicherweise aber einen Beitrag zu einer nachhaltigen Landwirtschaft jenseits der aktuell grassierenden industriellen Produktion von Lebensmitteln. Landwirte, die auf diese Weise produzieren, sollten jedenfalls gestärkt werden. Das wäre für mich ein Abtausch, der beiden Seiten Vorteile bringen könnte.

Auch der österreichischen Staatsfunk war dieser Tage in den Medien präsent. So gab der nach einem Tauziehen dann letztendlich doch Ende Februar von der Regierung zum Stiftungsrat auf Seiten der FPÖ bestellte Peter Westenthaler der Kleinen Zeitung ein Interview, in dem er unter anderem von einem Roden des ORF-Schrebergartens sprach und die Medienpolitik der Regierung scharf kritisierte. Vom neuen Ethikkodex des Mediums erhofft er sich eine Eindämmung der „politischen Agitation“ von ORF-Journalisten, allen voran Armin Wolf, in den Sozialen Medien. Auch möchte er nach der vom Verfassungsgerichtshof durch ein Erkenntnis geforderten Novellierung des ORF-Gesetzes, die bis Frühjahr 2025 erfolgt sein muss, die ORF-Führung durch den dann entpolitisierten Stiftungsrat neu wählen lassen. Und eine prägende Gestalt des österreichischen Fernsehens, Thaddäus „Teddy“ Podgorski, ist mit 88 Jahren verstorben. Die von ihm entwickelte „Zeit im Bild“ gibt es heute noch, seine einmalige Amtszeit als Generalintendant war vor allem von seinem Konflikt mit seinem Vorgänger und Nachfolger Gerd Bacher geprägt. Jedenfalls machte er Zeit seines (Medien-)Lebens immer wieder von sich reden, auch in der Lucona-Affäre rund um Udo Proksch.

Bemerkenswert ist gleichfalls, dass Finnland nun schon zum siebten Mal in Folge zum glücklichsten Land der Welt gewählt wurde. Was sich mir bei dieser Bezeichnung nicht ganz erschließt ist die Formulierung, denn kann ein Land glücklich sein? Für den Weltglücksreport werden in einer repräsentativen Umfrage jeweils die Bewohner befragt und deren Antworten ergeben dann das Ranking. Österreich verweilt auf Platz 14, während Deutschland von Rang 16 auf 24 abgestürzt ist. Nun fragen sich natürlich alle, wie die Finnen das machen. Dazu gibt es unterschiedliche Theorien und Bewertungen. Die einen führen es auf die Geduld und Ausdauer der Bewohner des nordischen Landes zurück, auch Schwieriges und Unerträgliches zu ertragen und führen es auf die den Finnen zugeschriebene Eigenschaft des „Sisu“ zurück. Andere wiederum meinen, dass es wohl etwas mit den politischen Verhältnissen, der strengen Einwanderungspolitik oder der Naturnähe zu tun habe. Die Wahrheit wird wohl in der Mitte liegen – denn auch Finnland hat detailliert betrachtet in vielen Bereichen mit strukturellen Problemen zu kämpfen. Von der aktuellen Regierung, die seit kurzem im Amt ist, ist jedenfalls eine nachhaltige Kürzung des „Wohlfahrtsstaates“ geplant. Man wird sehen, ob sich das dann auch im nächsten Glücksreport auswirken wird.

Einer, der sein Glück aufs Spiel gesetzt und möglicherweise schon verloren hat, ist der Investigativjournalist und WikiLeaks-Gründer Julian Assange, der immer noch auf eine Entscheidung des britischen High Court wartet, ob er gegen die von den USA geforderte Auslieferung berufen darf. Zuletzt ist von einem Angebot seitens der USA die Rede gewesen, die Assange die Freiheit bringen könnte. Dazu müsse er sich – wie „The Guradian“ auf Basis eines Artikels im Wall Street Journal berichtet – des Missbrauchs von Verschlusssachen schuldig bekennen. Die Strafe dafür hätte er durch seine Haft in London bereits abgesessen und wäre demnach umgehend frei. Seine Anwälte hingegen sagen, sie hätten „keinen Hinweis“ darauf erhalten, dass Washington beabsichtigt, seine Haltung zu ändern. Auch ich habe mich zuletzt in einem E-Mail an österreichische Politiker für eine Initiative zur Freilassung von Julian Assange eingesetzt. In der Zwischenzeit – und einem Erinnerungsschreiben an die Adressaten in dieser Woche – kamen Stellungnahmen vom Bundespräsidenten, der FPÖ und den Grünen, die allesamt auf ihre bereits – zum Teil aber schon vor Jahren – gesetzten diesbezüglichen Initiativen verweisen, ein neuerliches Engagement aber nicht ins Auge fassen. Offenbar will sich diesbezüglich niemand die Finger verbrennen und sich der Gefahr ausgesetzt sehen, dass es andere Journalisten dem WikiLeaks-Gründer gleichtun und so manches ans Licht der Öffentlichkeit bringen, was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde und der Bevölkerung lieber vorenthalten werden sollte.

Nach Frühling schaut es also in den politischen Landschaften eher weniger aus, wirklicher Aufbruch und Neubeginn stehen hier nicht auf der Tagesordnung obwohl durchaus oft davon gesprochen wird.

Wer also einen politischen Frühling einleiten und somit dem Osterfest seinen ursprünglichen Sinn geben will, ist selbst gefordert. Ich weiß, dass ich mich mit meiner Sichtweise wiederhole. Das werde ich so lange tun, bis nachhaltige Veränderungen spürbar sind und sich jeder Einzelne bewusst ist, dass Wandel nur von unten nach oben passieren wird – ausgehend vom direkten Umfeld, vom Kleinen zum Großen.

Das Motto könnte der vom Theologen und Schriftsteller Kurt Marti geschaffene Aphorismus sein, der da lautet: „Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen.“

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WG – 2024 KW11-DE-IPHP Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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