Die Wien Wahl 2020

Politik

Die Wiener Landtagswahl 2020 (genauer gesagt die Wiener Gemeinderats- & Bezirksvertretungswahl) steht am kommenden Sonntag, dem 11. Oktober 2020, vor der Türe und wir analysieren für Euch die Ausgangslage aller Wahl werbenden Parteien und geben Euch einen Einblick in die aktuelle politische Lage in der Bundeshauptstadt.

Bei der letzten Wiener Landtagswahl 2015 hatte der damals noch amtierende SPÖ-Langzeitbürgermeister Dr. Michael Häupl das von der Wiener FPÖ und HC Strache ausgerufene Duell um Wien auf der Zielgerade dann doch rechtlich deutlich für sich entschieden und mit 39% der Stimmen deutlich Platz vor der FPÖ mit über 30% Stimmenanteil Platz 1 verteidigt. Die Wien Wahl 2015 stand fast völlig im Zeichen der damals herrschenden Flüchtlingskrise, die der FPÖ thematisch in die Karten spielte, da Sie damit Ihr Haus und Hof Thema Ausländer praktisch rund um die Uhr bespielen konnte.

Die Grünen hatten 2015 unter der damaligen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou überraschend leichte Stimmenverluste zu verzeichnen gehabt und landeten bei knapp unter 12%, was dazu führte, dass Vassilakou Ihr im Wahlkampf gegebenes Versprechen bei Stimmenverlusten zurückzutreten brach und weiterhin in Ihren Ämtern verblieb….

Die Wiener ÖVP, traditionell das Sorgenkind der Bundespartei (neben der Kärtner Landes-ÖVP) fuhr 2015 unter Manfred Juraczka  ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis ein und schnitt mit nur 9,2% der Stimmen katastrophal ab. Juraczka zog umgehend die Konsequenzen und übergab das Zepter an Gernot Blümel, einen engen Gefolgsmann von Sebastian Kurz.

Für die NEOS hat die jetzige Parteichefin Beate Meinl-Reisinger, die damalige Nummer 2 in der Partei hinter Matthias Strolz, die Pinken mit einen engagierten Wahlkampf mit 6% erstmals in den Wiener Landtag geführt. Als Strolz zurücktrat übergab Sie das Zepter in Wien an Christoph Wiederkehr, der außerhalb seiner Partei lange Zeit kaum bekannt war und damit auch jetzt noch immer zu kämpfen hat.

Bei den Grünen hielt sich Maria Vassilakou noch bis 2019 im Amt. Ihr folgte nach einer innerparteilichen Wahl die jetzige amtierende Vizebürgermeisterin Birgit Hebein ins Amt, die zu diesem Zeitpunkt vor allem für Ihre sozial politischen Akzente bekannt war.

Bei der Wiener FPÖ war Jahre lang Johann Gudenus, der Intimus von HC Strache und dessen formaler Platzhalter in Wien, als Straches Nachfolger vorgesehen, wenn dieser einmal die Politik verlassen würde. Doch mit der Ibiza Affäre im Mai 2019 wurde die FPÖ von einem politischen Erdbeben erfasst, das zuerst Gudenus aus seinen Ämtern fegte und nach einem für die Bundes- & Landes FPÖ folgenschweren hin und her auch dazu führte, dass HC Strache und die FPÖ getrennte Wege gingen.

Die FPÖ erwischte all dies komplett auf dem falschen Fuß, da Sie in keinster Weise auch nur irgendwen innerparteilich neben Strache und Gudenus politisch aufgebaut hatte, und so kam es, dass der völlig unbekannte Dominik Nepp zum Wiener FPÖ-Chef aufstieg und nun auch als Spitzenkandidat für die Wiener FPÖ in die Wien Wahl 2020 geht.

HC Strache wiederum hatte in schlechtestem Jörg Haider 2000er Jahre Stil mit seinen ständigen Bocksprüngen a´ la „Bin weg / bin wieder da / bin weg / bin wieder da…“ der FPÖ den letzten Nerv gezogen. Der vorläufige Endpunkt dieses Rosenkriegs innerhalb der freiheitlichen Familie war die Gründung von Straches eigener Partei, dem „Team HC Strache“, zu der 3 freiheitliche Mandatare im Wiener Landtag übergelaufen sind und die nun von Strache in den Wiener Wahlkampf geführt wird.

Bei der Wiener SPÖ lief es nach dem Rücktritt von Michael Häupl im Vergleich dazu gesittet ab, denn der nunmehrige SPÖ-Spitzenkandidat und ehemalige Wohnbaustadtrat Michael Ludwig setzte sich in einer innerparteilichen Kampfabstimmung gegen Andreas Schieder durch und es gelang Ludwig in der Folge die teils krass zerstrittene Landesgruppe rasch wieder zu einen. Dabei geholfen hat Ludwig auch der für die SPÖ unter Parteichefin Pamela Rendi-Wagner katastrophale bundespolitische Trend, der dazu führte, dass die SPÖ bei der Nationalratswahl 2019 mit 21% das schlechteste Wahlergebnis in Ihrer Geschichte erreichte und seitdem in allen Umfragen konstant bundesweit bei unter 20% liegt. Geholfen deswegen, weil damit jedem Wiener SPÖ-Funktionär und möglichen „Streithansl“ klar war, dass es nun um das historische „rote Wien“ geht und die Landtagswahl 2020 in Wien für die SPÖ auf allen Ebenen absolut überlebensnotwendig ist.

Dabei ist festzuhalten, dass die SPÖ in Ihren Hochburgen Kärnten und Burgenland bei den letzten Landtagswahlen unter den Landeshauptmännern Kaiser (SPÖ-Kärnten) und Doskozil (SPÖ-Burgenland) jeweils fast 50% erreicht hat und damit klar wird, dass die Bundes-SPÖ das wahre Problem der SPÖ-Landesparteien ist. In amerikanischen Wahlkämpfen würde man dazu sagen: „Whatever she (in diesem Fall Rendi-Wagner) is doing, it´s not working…“

Für die Wiener SPÖ, die in aktuellen Umfragen zur Wiener Landtagswahl bei etwas über 40% und damit leichten prozentuellen Zugewinnen liegt, bedeutet dies, dass Michael Ludwig es wie schon Kaiser und Doskozil geschafft hat sich von dem katastrophalen Trend der Bundes-SPÖ abzukoppeln. Ludwig ist dies u. a. mit einer geschickten Mischung aus Flexibilität und Hemdsärmeligem Auftreten gelungen & besten Beziehungen zu den mächtigen Bezirkskaisern der Wiener Landes-SPÖ in den Flächenbezirken Wiens, traditionell die Hochburgen der SPÖ.

Für die NEOS hat sich Christoph Wiederkehr im Wahlkampf redlich bemüht; sein einziger Durchbruch gelang ihm aber nur bei der Koalitionsfrage, in dem es ihm gelang, die NEOS als möglichen Partner für Ludwig ins Spiel zu bringen.

Bei den Kleinstparteien fallen vor allem „LINKS“ mit Spitzenkandidatin Anna Svec und „SÖZ“ (Soziales Österreich der Zukunft) unter deren Parteichef Hakan Gördü auf, die beide im linken und migrantischen Wählerspektrum nach Stimmen fischen. Theoretisch hätten beide Parteien gar nicht so schlechte Aussichten, wenn man die Grazer KPÖ als Vorbild für „LINKS“ und die wahlberechtigten Wiener mit Migrationshintergrund für das „SÖZ“ nimmt, doch für beide Parteien, die sich erst im Aufbau befinden, kommt diese Wien Wahl 2020 wohl noch zu früh. Selbst 2% an Stimmen landesweit wären daher schon ein Achtungserfolg, sowohl für „LINKS“ als auch für das „SÖZ“, einige Bezirksräte für beide Parteien sind jedoch realistisch.

Lediglich in der Hochburg der Grünen in Wien, im Bezirk Neubau, tritt mit dem „WANDEL“ noch eine weitere linke Splittergruppe an, die den Grünen wohl genügend Stimmen abnehmen wird um einige wenige Bezirksräte zu stellen.  

Im historischen Vergleich der letzten Jahrzehnte plätscherte der gesamte Wahlkampf fad und komplett inhaltsleer dahin, da alle Politiker versuchten, sich selbst und Ihre Parteien im Stile von Waschmittelverkäufern mit Umfrage getesteten Slogans Marke „3 Euro fürs Phrasenschwein“ zu vermarkten.

Die Causa Prima für die Wiener, die verheerenden Auswirkungen der Coronaviruskrise in so gut wie allen Lebensbereichen, vor allem aber deren wirtschaftliche und soziale Folgen, wurde von keiner Partei auch nur annähernd in ausreichendem Ausmaß thematisiert. Und damit ist die Prognose für die Wiener Landtagswahl leicht zu treffen. Der Sieger der Wahl wird das Lager der Nichtwähler sein, sprich die Wahlbeteiligung wird deutlich fallen, da sich immer mehr Wiener von der Parteipolitik nicht mehr vertreten fühlen.

Am Wahltag werden alle Parteienvertreter darüber ein paar Krokodilstränen verdrücken um dann sofort darauf mit „business as usual“ weiterzumachen wie bisher.

Was das Ergebnis der Parteien im Vergleich zueinander betrifft so ist klar, dass die Wiener SPÖ mit Michael Ludwig mit etwa 40% aufwärts mehr als doppelte so viele Stimmen wie die zweitplatzierte ÖVP, die auch in Wien massiv vom Kurz-Effekt profitieren wird, erringen wird.

Die Grünen werden schlechter als erwartet abschneiden, da Frau Hebein mit ihrer radikalen Verkehrspolitik für die grünen Kernwähler selbst linksliberale Wechselwähler teilweise abschreckt, 15% wären für die Wiener Grünen daher bereits ein großer Erfolg. Die Wiener FPÖ wird den prozentuell größten Wählerverlust erleiden, den es jemals bei einer Bundes- oder Landtagswahl für welche Partei auch immer gegeben hat und sie muss heilfroh sein, wenn Sie ein Drittel Ihrer Stimmen von 2015 bzw. 10% erreicht.

Die NEOS werden sich im Wiener Landtag halten und einziehen und erneut wie schon 2015 etwa 6% erreichen. Für das Team HC Strache wird die Wien Wahl nicht wie gewünscht ausgehen, sprich HC Strache wird die 5% Hürde, die für den Einzug in den Wiener Landtag nötig ist, nicht erreichen, denn HC Strache hat das Einzige gemacht was man in der Parteipolitik so nicht machen darf: Er hat sich vor den Wählern komplett lächerlich gemacht und das verzeihen die Wähler so gut wie nie.  

Was die Koalition nach der Wiener Landtagswahl betrifft wäre Michael Ludwig gut beraten, wenn er etwas Neues – z. B. SPÖ – NEOS versucht, nicht weil diese beide Parteien per se der Weisheit letzter Schluss sind, sondern weil klar ist, dass der Haussegen zwischen SPÖ und Grünen auf Landesebene und SPÖ und der türkisen ÖVP auf Bundes- & Landesebene massiv schief hängt und die NEOS der für die SPÖ machtpolitisch am besten zu kontrollierende Partner sind, bei dem nicht schon ab Tag 1 der Koalition wieder nur sinnlos parteipolitisch hin und her gestänkert wird.

Abschließend muss gesagt werden, dass aufgrund der aktuellen Wahlgesetze in Wien nicht nur 30% der hier lebenden Menschen nicht wahlberechtigt sind (was ein demokratiepolitisches Problem ist), sondern es auch eine Rekordzahl an Wählern, die wahlberechtigt sind, geben wird, die nicht zur Wahl gehen werden und das bedeutet eine krasse Legitimationskrise für das politische System in Wien. Ob die etablierte Parteipolitik diese Zeichen der Zeit jedoch richtig deuten wird muss leider bezweifelt werden….

Bildrechte/Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Svec#/media/Datei:Anna_Svec,_LINKS_Wien_(cropped).jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Wiederkehr#/media/Datei:Christoph_Wiederkehr_-_Pressekonferenz_am_25._Aug._2020_(1).JPG

https://de.wikipedia.org/wiki/Dominik_Nepp#/media/Datei:Dominik_Nepp_-_Pressekonferenz_am_4._Sep._2020_(2).JPG

https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz-Christian_Strache#/media/Datei:Heinz-Christian_Strache_-_Wahlkampfauftakt_am_29._Aug._2020_(1).JPG

https://de.wikipedia.org/wiki/Gernot_Bl%C3%BCmel#/media/Datei:Amts%C3%BCbergabe_an_Finanzminister_Gernot_Bl%C3%BCmel_(49345784101).jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Birgit_Hebein#/media/Datei:Birgit_Hebein_-_Startschuss_f%C3%BCr_%E2%80%9EWillst_Du_mein_Favoriten_sein?%E2%80%9C_(2).JPG

https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Ludwig_(Politiker,_1961)#/media/Datei:Michael_Ludwig_-_Veranstaltung_%E2%80%9E1._Tag_des_Wiener_Wohnbaus%E2%80%9C_(1).JPG

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Die Wien-Wahl 2020 Wolfgang Müller CC BY SA 4.0
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