Dr. Heide Schmidt – Die „Grande Dame“ des Liberalismus in Österreich

Politik

In der aktuellen Ausgabe der „Kitchen Talks“ ist die studierte Juristin und Ex-Politikerin Frau Mag. Dr. Heide Schmidt zu Gast, die im Laufe Ihrer beruflichen und politischen Karriere u.a. als Volksanwältin, dritte Nationalratspräsidentin, 2-fache Präsidentschaftskandidatin 1992 und 1998, sowie als Gründerin des Liberalen Forums 1993 in Erscheinung getreten ist.

Zur Geschichte Ihrer Familie befragt erzählt Heide Schmidt, dass Ihre Mutter in Brünn geboren worden ist, ihre Eltern sich in Brünn kennengelernt haben und Sie als sudetendeutsche Familie in Prag lebten.

Auf die Sudetenfrage angesprochen erzählt Sie, dass Ihre Urgroßmutter in einem Lager der Tschechen zu Tode gekommen ist und auch ihre Mutter und Ihre Großmutter sich von den Tschechen aus ihrer Sicht nicht gut behandelt gefühlt hatten, da sie sich in Tschechien nicht angenommen fühlten.

Nach dem 2. Weltkrieg musste die Familie im Zuge der Vertreibung der Sudetendeutschen die Tschechoslowakei verlassen und Heide Schmidt stellt klar, dass für sie die Betroffenheit auf beiden Seiten nachvollziehbar sei: so wäre die Vertreibung der deutsch-sprachigen Minderheit(en) eine Reaktion der Tschechen auf den Nationalsozialismus gewesen und leider käme es rund um Kriege immer wieder zu derartigen bedauernswerten Vorfällen.  Nicht zuletzt ihre eigene Familiengeschichte habe daher mit dazu geführt, dass sie eine besondere Sensibilität für geflüchtete Menschen entwickelt hat.

In der Folge gingen Ihre Eltern ins Allgäu und Heide Schmidt wurde 1948 in der Stadt Kempten geboren. Nachdem sich Ihre Mutter 1951 scheiden ließ, kam Heide Schmidt mit Ihrer Mutter nach Wien und wuchs fortan in einem reinen Frauenhaushalt auf. 

In Wien ging Heide Schmidt in einer reinen Mädchenklasse zur Schule und erinnert sich, dass Sie schon in Ihrer Schulzeit ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl hatte, wobei dies aus Ihrer Sicht alle Kinder hätten.

Nach dem Abschluss des Gymnasiums hatte Sie überlegt in der Psychiatrie und/oder Psychologie zu arbeiten, doch dafür hätte Sie zuvor Medizin studieren müssen und erst nach dem Abschluss des Medizinstudiums die psychiatrische Ausbildung machen können. So viele Jahre zu studieren wäre sich für sie aber sozial und wirtschaftlich in ihrer damaligen Lebenslage nicht ausgegangen und daher entschloss sie sich Rechtswissenschaften (JUS) zu studieren. Sie stellt klar, dass diese Studienfachwahl für sie keine strategische Entscheidung war, und dass Sie es als persönlich verletzend empfunden hat, dass den weiblichen Studentinnen schon in der JUS-Einführungsvorlesung von einem männlichen Professor nachgesagt wurde, sie wären nur an der Uni, um sich hier später einen männlichen Doktor als Versorger zu angeln.

Da sie u.a. mit dem Credo „Wo ein Wille dort ein Weg“ erzogen wurde, wäre ihr am Anfang Ihrer Studienzeit der Blick für strukturelle Zusammenhänge in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit verstellt gewesen, da sie eben wegen dieses Satzes immer alles, was ihr nicht gelang, auf sich selbst bezogen hat – und nicht auf Benachteiligungen aufgrund Ihres Geschlechts.

Die Liberale beschreibt, dass ihre Mutter Alleinerzieherin war – und das in einer Zeit, als dies für Frauen auch sozial noch besonders schwer gewesen ist. Wohl auch auf Grund der Sie daheim umgebenden starken Frauen habe sie in ihrer Jugend kein feministisches Bewusstsein gehabt, ihre dementsprechende Einstellung habe sich daher erst im Laufe ihres Berufslebens entwickelt und sie erinnert sich dabei an ein Gespräch mit einer sozialdemokratischen Bundesrätin zu einer Zeit, als sie selbst freiheitliche Bundesrätin gewesen ist. Dieser Gedankenaustausch damals hat sie selbst sehr für frauenspezifische Themen sensibilisiert.

Für sie ist heute zudem klar, dass man beim Thema Frauenrechte nirgends politisch übers Ziel hinausgeschossen habe.

Von Alexander Stipsits befragt, wie sie zur FPÖ gekommen sei, deren Mitglied sie 1973 wurde, beschreibt sie die politische Lage in Österreich Anfang der 70er Jahre und wie sich in dieser Zeit SPÖ und ÖVP das Land aufgeteilt hatten, und erzählt über Ihre Erfahrungen als Beamtin im Unterrichtsministerium und die parteipolitische Macht der damaligen Großparteien. Damals hatten SPÖ und ÖVP zusammen in etwa 90% der Stimmen bei Wahlen und sich das Land und die Institutionen der Republik unter einander aufgeteilt. Die Juristin äußert für dieses Proporzsystem rückblickend aufgrund der Ereignisse in der Zwischenkriegszeit und im zweiten Weltkrieg ein gewisses Verständnis, da es eben auch darum gegangen wäre, keinesfalls wieder in eine Bürgerkriegssituation zu geraten. Dieser rot-schwarze Proporz habe aber eben auch dazu geführt, dass es auch im Bildungsministerium, wo sie selbst Anfang der 70er Jahre zu arbeiten begann, zu teils fragwürdigen Personalentscheidungen kam. Sie erzählt, wie sie daher auch deshalb zu den freiheitlichen Studenten gefunden habe und warum es auch eine Art Trotz-Akt war zu sagen: „Ich gehöre zur (freiheitlichen) Minderheit“ (in einem schwarzen Ministerium). Damals habe es zudem bei den freiheitlichen Studenten einen aufkeimenden liberalen Flügel gegeben und sie habe dort Gleichgesinnte gefunden, eine Reihe von jungen Leuten, die eine liberale Partei aufbauen wollten. Sie gesteht aber auch ein, dass sie damals aus ihrer Sicht nicht sehr engagiert war („a bisl, aber ned wirklich“).

Mitte der 1980er Jahre war sie als freiheitliche Volksanwältin jeden 3. Samstag im Fernsehen zu sehen und hatte daher eine bemerkenswerte öffentliche Wahrnehmung, womit sie zu einem Asset für die FPÖ wurde. Das sah auch der liberal gesinnte Wiener FPÖ-Parteiobmann Erwin Hirnschall so, der sie noch in der Wahlnacht der Wiener Landtagswahl 1987 für das der FPÖ aufgrund ihres guten Wahlergebnisses zustehende Bundesratsmandat vorschlug. Das kam für Heide Schmidt überraschend, denn sie war zwar auf der Wahlliste gestanden, aber „nur“ als reine Solidaritätskandidatur auf einem hinteren unwählbaren Platz gereiht gewesen.

Am Wahlabend eben dieser Wiener Landtagswahl 1987 lernte sie auch den damaligen FPÖ-Bundesparteiobmann Dr. Jörg Haider persönlich kennen, der ihrer Nominierung als freiheitliche Bundesrätin sofort zustimmte. Nur wenige Monate später bot ihr Haider mit den Worten „Du willst immer was für die Liberalen machen, also mach´“ das Amt der Generalsekretärin der FPÖ an. Heide Schmidt erbat sich über Ostern Bedenkzeit und noch bevor sie ein persönliches Gespräch nach ihrem Osterurlaub mit Haider dazu führen konnte, las sie bereits im Profil davon, dass sie Generalsekretärin werden würde. Etwas irritiert davon nahm sie das Angebot dennoch an, vor allem weil ihr Haider eine gewisse politische Autonomie zugesichert hatte.

Bald wurden aber deutliche inhaltliche Differenzen zwischen Haider und Schmidt sichtbar, so hätte Haider aus ihrer Sicht zu viele Kompromisse mit „irgendwelchen Rechten gemacht“ und das Ausländerthema viel zu sehr gebracht. Da Jörg Haider aber jede Wahl gewonnen hat, war es sehr schwer für sie, innerparteilich dagegen zu halten. Darin sieht sie gewisse Ähnlichkeiten zwischen Haider und Sebastian Kurz: beide sind große politische Talente und gegen ihre Wahlerfolge komme man in der innerparteilichen Debatte kaum an, da das Argument „er gewinnt Wahlen“(für die Partei) alles andere zudecke.

Auch deswegen wollte sie mit Ihrer Bundespräsidentschaftskandidatur für die FPÖ 1992 ein Zeichen setzen, dass man auch mit einer anderen FPÖ-Wahlkampflinie wahlpolitischen Erfolg haben könne, doch schon im  Wahlkampf gab es ein schweres Zerwürfnis mit Haider wegen Aussagen von Andreas Mölzer zur „Umvolkung“ und sie lernte rasch, dass „nur vermittelt wird was auch medial vermittelt wird“ und was dahinter stehe habe kaum öffentliche Relevanz. 

Ihr Wahlergebnis bei der Bundespräsidentschaftswahl 1992 als Kandidatin der FPÖ wäre aus ihrer Sicht respektabel gewesen, dennoch habe Haider das Wahlergebnis von Heide Schmidt innerparteilich zu einer Wahlniederlage erklärt und sie damit zu einer Wahlverliererin abgestempelt. Als ihr klar wurde, dass sie die FPÖ nicht im liberalen Sinne beeinflussen könne, verließ sie die Partei und gründete am 4. Februar 1993 zusammen mit anderen gleichgesinnten Freiheitlichen das Liberale Forum.

Die Frage, ob die liberale Demokratie in Gefahr sei, beantwortet sie mit „Ja“, denn wir würden wieder an der Schwelle zu einem autoritären Jahrhundert stehen. Sie erinnert an den liberalen Philosophen Ralph Dahrendorf, der Ende des 20. Jahrhundert verkündet hatte, dass das sozialdemokratische Jahrhundert zu Ende wäre und aus ihrer Sicht habe sich diese Aussage bewahrheitet, denn das sozialdemokratische Jahrhundert ist tatsächlich vorbei. Die „Grand Dame“ der Liberalen bedauert den Zustand der europäischen Sozialdemokratie in Europa und dass diese keine Antworten mehr auf die Fragen der Zeit hätten, sehr. Dahrendorf hatte gehofft, dass wir vor einem liberalen Jahrhundert in Europa stehen würden, das sieht sie so nicht, denn aus ihrer Sicht ist die illiberale Demokratie leider bereits in manchen Ländern Realität und die Sozialdemokratie und die Liberalen stehen daher vor einer großen Herausforderung.

Auf die Frage nach ihrer Definition und ihrem Verständnis von Liberalismus erklärt sie, dass es darum ginge, den „größt möglichen Freiraum für die größt mögliche Zahl von Menschen in einem Gemeinwesen zu ermöglichen“ und dass die „Möglichkeit zur Selbstbestimmung“ zentral sei. Die Aufgabe der Politik sei es, die Instrumentarien für diese Entfaltung der Bürger zur Verfügung zu stellen.

Es sei daher elementar wichtig, den einzelnen Bürgern die größten möglichen gleichen Chancen für ihre Selbstbestimmung zu garantieren, es solle keine Feindbilder geben und die gemeinschaftliche Solidarität solle die Basis der Gesellschaft sein. Sie tritt daher auch für ein BGE ein, hält aber auch fest, dass man nicht alles garantieren könne, ein soziales Netz für Alle sei aber elementar wichtig.

Die Umbenennung der „Mindestsicherung“ in „Sozialhilfe“ stehe für ein anderes Menschenbild, das sie entschieden ablehnt, denn die verwendeten Begriffe in der Politik sind wichtig für das gesellschaftliche Klima im Land. Die ehemalige 3. Präsidentin des Nationalrats will nicht, dass die Menschen sich als Bittsteller fühlen, denn Existenzsicherung ist unser aller Aufgabe und Teil Ihres liberalen Grundverständnisses. Heide Schmidt grenzt sich vom Neoliberalismus deutlich ab, den sie schlicht für egoistisch hält und der nicht ihrem Liberalismus-Verständnis entspricht.

Befragt zur Rolle der Medien im Zeitalter der neuen Medien und zur Macht der Medien im Allgemeinem appelliert sie daran, mehrere Medien zu rezipieren, und spricht sich für Medienbildung als Schulfach aus, da es unerlässlich sei, sich sein eigenes Bild zu machen. Als medienaffine Politikerin erinnert sie daran, dass die Hervorhebung von Inhalten in Medien die Art wie man diese Inhalte rezipiert entscheidend beeinflusst, weswegen die Vermittlung von Medienkompetenz in der Schule zwingend notwendig wäre.

Der Wettbewerb der Medien würde durch die Presseförderung verzerrt, und Inserate durch die Politik in Medien bedeuten für sie Korruption. Die personelle Ausstattung der Medien, wie zb. Korrespondenten vor Ort, sind für Sie sehr wichtig, denn Journalistinnen sind Wächterinnen der Demokratie.

Auf den Klimawandel angesprochen macht sie klar, dass dieser sehr real sei und gesteht, dass sie selbst früher weniger Bewusstsein für Ihr Verhalten in Bezug auf Ihre eigene Mobilität (zb. Flugreisen) hatte. Politisch solle man sich für eine ökologische Steuerreform stark machen, denn ein ökologisches Steuersystem sei wichtig. Weiters solle man umweltverträgliches Verhalten einfordern und den Ausstieg aus umweltschädlichen Verhaltensweisen forcieren. Sie möchte Bewusstseinsänderungen durch Verhaltensänderungen bewirken, denn auch ihr Umweltbewusstsein war vor 20 Jahren nicht so ausgeprägt wie heute.

Die Liberale mit Herz bekennt, dass bewusster Müßiggang für sie sehr Energie spendend sei – und sie macht klar sich auch in Zukunft weiter für ausgewählte Projekte und für ihre Ideale einzusetzen.

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Heide Schmidt Wolfgang Müller CC BY SA 4.0