Persönlichkeit und Politik

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Politik

Veranstaltungsdaten

Datum
21. 11. 2016
Veranstalter
Renner Institut
Ort
Bruno-Kreisky-Saal, Gartenhotel Altmannsdorf (Hotel 1)
Veranstaltungsart
Vortrag
Teilnehmer
Mag. Martina Zandonella, Researcherin am SORA-Institut, Schwerpunkt politische Psychologie
Dr. Michael Rosecker, Moderation, Bereichsleiter politisches Management und Grundlagenarbeit im RI

Zu Beginn erklärt Frau Mag. Martina Zandonella vom Sora-Institut, welche Philosophie rechtspopulistische Parteien ihrer Meinung nach miteinander verbindet:

Sie weisen eine autoritäre Grundüberzeugung auf: Eine Führerfigur repräsentiert den Willen des (homogenen) Volkes, (direkte) Demokratie ist Mittel zum Zweck. Sie sind nationalistisch ausgerichtet, grenzen sich ab. Es werden In- und Outgroups gebildet, Letztere (die Eliten, die Ausländer) werden als Bedrohung wahrgenommen bzw bezeichnet.

Und Sie positionieren sich gegen das Establishment.

Auf psychologischer Ebene spielen aus Ihrer Sicht das Schubladendenken, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und der Autoritarismus entscheidende Rollen für die Vorstellungswelt und das Wahlverhalten von Wählern rechtspopulistischer Parteien.

Beim Schubladendenken unterscheidet Sie zwischen bottom-up- und top-down-Denken: Bei Ersterem bildet sich ausgehend vom Einzelschicksal eine Kategorie, bei Letzerem werden bereits vorhandene Vorurteile über eine Person gestülpt. Solche sozialen Kategorien sind im Gedächtnis gespeicherte Strukturen, die schnell und effizient angewendet werden können, um soziale Situationen zu definieren.

Der Nachteil dabei ist, daß man durch diese Vereinfachungen zu falschen Schlüssen komme und so recht schnell andere Menschen diskriminieren würde. Stereotype sind gesellschaftliches Wissen: Sie sind durch Sozialisation erlernt und rechtfertigen gesellschaftliche Hierarchien. Ihre Anwendung ist allerdings eine (wenn auch oft unterbewußte) individuelle Entscheidung, die man aber auch kritisch reflektieren kann.

Der Ansatz rechtspopulistischer Parteien wäre die politische Kultur und die geltenden Normen zu verschieben. Dies ginge zwar nur Schritt für Schritt, habe aber langfristige Auswirkungen. In den Sozialen Medien sind rechte Parteien stark vertreten, vor allem weil es dort keine verbindlichen Normen gäbe. Die Verrohung der Sprache und die Etablierung von neuen Begriffen im politischen Diskurs ist ein Erbe dieses Verschiebens der Normen.

Der Mensch ist ein soziales Wesen und hat ein natürliches Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Positive soziale Identität erhält man zB. über Gruppenmitgliedschaften. Gruppen bieten auch Schutz nach innen (Loyalität) und außen. Sie definieren sich meist durch wenige Merkmale, um eine hohe Homogenität zu gewährleisten.

Die Grenze zu den Outgroups bietet viele Ansatzpunkte für Diskriminierung und Abwertung. Im gesellschaftlichen Kontext definieren Gruppen das Individuum mit. Beispielsweise hängt es von Gruppenmitgliedschaften ab, über welchen Status, über wieviel Macht ein Individuum verfügt: Wer bin ich, wozu gehöre ich, was steht mir zu?

Identifikation und Ausgrenzung sind zentraler Ausdruck unseres Zugehörigkeitsbedürfnisses. Abwertung anderer Gruppen ist oft eine Folge von Unsicherheit, sowohl für das Individuum, wie auch für die Gesellschaft.

Beispielsweise stellen sich alteingesessene Mieter in einem Gemeindebau, in den abstiegsgefährdete Personen zuziehen, die Frage, was dieser Zuzug für sie bedeutet. Grundsätzlich haben Menschen generell ein sehr hohes Bedürfnis, Unsicherheit zu reduzieren. Meist erfolgt dies durch eine erhöhte Identifikation mit der eigenen Gruppe – verstärkte Abwertung von Outgroups inbegriffen. Oder man sucht sich eine neue Gruppe.

Die Gruppeneigenschaften rechts gerichteter Organisationen sind, wie bereits erwähnt, in sich klar strukturiert und homogen; sie bieten ein konsistentes Weltbild und eine klare Unterscheidbarkeit zu anderen. Die Mitgliedschaft ist meist recht einfach zu erreichen. Extremistische Gruppen haben meist eine eindeutige Selbstdefinition auf Kosten abwertender Fremddefinitionen über Nichtmitglieder.

Der Hauptansatzpunkt rechtspopulistischer Parteien ist die durch viele Ursachen hervorgerufene Unsicherheit, welche die Menschen im täglichen Leben real erleben. Diese werden auf eine oder wenige, leicht verständliche Ursachen reduziert, um so klare Feindbilder zu schaffen.

Der Begriff Autoritarismus umschreibt das Bedürfnis nach einer starken Führungsperson, nach Unterordnung, gleichzeitig aber auch nach Dominanz gegenüber anderen Gruppen, nach Tradition und nach law and order – vor allem, wenn es um die Bestrafung von Fehltritten anderer Gruppen geht. Autoritarismus wirkt sich meist dann auf das Wahlverhalten aus, wenn das Niveau der Unsicherheit steigt, wenn die bestehende Ordnung bedroht ist.

Befindet sich die Persönlichkeit im in der folgenden Grafik ganz links ausgewiesenen Status – zB. mitfühlend, kooperativ, vertrauend – dann wäre sie viel weniger anfällig für autoritäres Verhalten.

Autoritarismus
Ein Überblick von Martina Zandonella (SORA) über den individuellen Kontext von Autoritarismus

Menschen mit höherem Autoritarismus nehmen Unsicherheiten stärker wahr, als andere. Ihre Lösung ist meist erhöhte Gruppenidentifikation. Gibt es eine situative Unsicherheit, von der alle Menschen bedroht sind (zB. Krieg), dann erhöht sich bei allen der Autoritarismus.

Rechtspopulistische Parteien ermöglichen die Reduktion von Unsicherheit, vor allem für jene, die sich – ob tatsächlich oder nicht – ausgeschlossen, abgehängt oder ausgegrenzt fühlen. Aufgrund des Wissens um die Macht von Unsicherheit, würden rechts gerichtete Gruppierungen diese auch aktiv anfeuern, um eine Spaltung der Gesellschaft, Normenverschiebungen und Outgroup-Definitionen zu erreichen.

Diese Spaltung wird allerdings auch von linken und etablierten Kräften betrieben, zB. indem man Trump- oder FPÖ-Wähler pauschal als dumm abgestempelt hat oder Angstkampagnen lanciert (um Unsicherheit zu generieren), wie es das Team von Van der Bellen gegen Norbert Hofer im aktuellen Wahlkampf praktiziert hat. Will man diesem weltweiten Trend entgegenwirken, dann muß man von allen Seiten damit aufhören, Vorurteile zu pflegen und endlich wieder miteinander reden – so der unterstützenswerte Appell von Frau Mag. Zandonella am Ende ihrer Ausführungen.

Die Publikumsbeteiligung wird eingeleitet mit der Frage, ob Eliten heute eine Outgroup sind. Für Mag. Zandonella ist das schon länger der Fall: Für die FPÖ sind sie Eliten dies seit dreißig Jahren – und auch in der 68er-Bewegung war das Establishment das (damals konservative) Feindbild. Auch Trumps Aufstieg war nicht so überraschend, wie manche Beobachter meinten, wenn man sich die sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen in den USA ansieht.

Trump war auch der erste ernstzunehmende Kandidat, der nicht dem klassischen politischen Establishment des amerikanischen Zweiparteiensystems angehört.

Warum gutsituierte Bürger der Mittelschicht zunehmend FPÖ (und Trump) wählen, erklärt Zandonella mit der Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg und vor allem mit den Sorgen um die Zukunftsaussichten für die Kinder. Interessanterweise würde aus der Sicht der SORA- Expertin das sogenannte Lumpenproletariat (die Menschen in prekären Arbeits- und Lebenssituationen) in Österreich weiterhin die SPÖ wählen, während Facharbeiter und pragmatisierte Arbeitnehmer seit den 90ern zur FPÖ abgewandert wären.

Staatliche Sparzwänge einerseits, Stellenabbau bei privaten oder halbstaatlichen Unternehmen andererseits (aktuell bauen Banken pro Jahr 2.000 Mitarbeiter ab) würde  den anhaltenden Wähler-Zulauf zur FPÖ mitbegünstigen. Will die SPÖ wieder ihre alte Stärke erringen, so müsse sie eine inklusive Linie einschlagen – also alle Menschen einschließen und „abholen“ -, ein klareres Profil zeigen und die Probleme der Menschen wieder adressieren – so der Tenor aus dem (teilweise sozialdemokratischen) Publikum.

Für die Jugend müsse es wieder eine glaubwürdige Erzählung geben, die Hoffnung verbreitet. Die Mauscheleien hinter verschlossenen Türen müssten aufhören, die Zerrissenheit (pro/Contra-FPÖ Flügel) muß überwunden werden, und der persönliche Kontakt zum Bürger müsse wieder gesucht werden- auf allen Ebenen. Bestes Beispiel sind die Berufsschulabsolventen, die eine steigende Zahl an FPÖ-Wählern vorweisen. Auf die Frage warum das so ist, hört man nicht selten: „Weil Vertreter dieser Partei bei uns in der Schule waren.“

Die Tatsache, daß die FPÖ die Definition ihrer Ingroups über die Jahre aber auch verändert hat (fleißíge Ausländer sind keine Outgroup mehr), schätzt Mag. Zandonella als reines Nutzendenken ein: Der Prozentsatz der FPÖ-Wähler mit Migrationshintergrund, die schon länger hier leben, steigt kontinuierlich.

Grundsätzlich wollen die Menschen, trotz Autoritarismus, laut Umfragen keine kompletten Umsturz des politischen Systems: Die Zustimmung zur Demokratie liegt konstant bei 95 Prozent. Ebenfalls gibt es eine hohe Zustimmung zu Expertenregierungen. Selbst autoritäre Führer wie Erdogan können mit der Demokratie gut leben – zumindest solange sie ihnen nutzt bzw ihren Aufstieg ermöglicht. Was danach kommen kann, lehre die Geschichte…

Im Interview mit unserer Redaktion beantwortete uns Frau Mag. Zandonella weitere Fragen zu diesem Thema, wie auch zu ihrem gemeinsam mit Frau Evelyn Hacker verfaßten Blog-Beitrag Schadet Ungleichheit der Demokratie:

Idealism Prevails:

Das Gegenstück zur Angstmache/Unsicherheit ist die Hoffnung. Trump hat im amerikanischen Wahlkampf oft die Angst genutzt, aber hat er nicht auch die Hoffnung angesprochen, indem er den Menschen Arbeitsplätze versprach und auch einen (wenn auch populistischen) Weg dorthin gezeichnet hat? Geht das Narrativ rechtspopulistischer Akteure nicht deutlich über reine Angstmache hinaus?

Mag. Martina Zandonella:
Trump und andere rechte Kräfte ermöglichen ihrer Zielgruppe jene Zugehörigkeit und Wertschätzung, die sie offenbar in anderen Parteien nicht mehr vorfinden (vgl. dazu auch Hillary Clintons „basket of deplorables“-Aussage). Damit greifen sie ein grundlegendes menschliches Bedürfnis auf, ebenso wie bestehende Unsicherheiten, Ängste und Vorurteile.

Gleichzeitig feuern sie mit ihrer politischen Kultur der Spaltung, Ausgrenzung und Abwertung diese Unsicherheiten, Ängste und Vorurteile immer weiter an – das müssen sie auch, denn sie können nur in dieser Spirale wachsen. Auch die Hoffnung muss in diesem Zusammenhang betrachtet werden: Sie ist Teil der Unsicherheitsreduktion, steht jedoch nicht im positiven Sinne für sich selbst.

Idealism Prevails:

Warum sind rechtspopulistische Aktuere  in den Sozialen Medien (zB. FPÖ- Chef HC Strache hat die meisten Facebook-Follower in Österreich) so stark vertreten? Ist es im Internet einfacher für eine glorifizierte Führungspersönlichkeit Stimmung zu machen? Und wieso ist es im Internet schwieriger komplexere Inhalte zu diskutieren, obwohl man eigentlich (im Gegensatz zu Printmedien oder Fernsehen) mehr als ausreichend Platz dafür hätte?

Mag. Martina Zandonella:
Parteien wie die FPÖ holen ihre (potentiellen) WählerInnen in den Sozialen Medien ab, indem sie dort direkt, persönlich und ungefiltert kommunizieren (können). Sie erreichen dort Menschen, die herkömmliche Medien nicht oder kaum nutzen, können sehr gezielt Botschaften setzen und wirken – auch im Zuge der opinion bubbles und der fehlenden Normen – meinungsbildend.

Durch den (scheinbar) direkten Kontakt stellen Sie auch eine Nähe her, die in der Politik heutzutage nicht mehr üblich ist.

Idealism Prevails:

Wie sie richtig aufgezeigt haben, bestimmen Stereotype einen wesentlichen Teil unserer Wahrnehmung bzw. unserer Denkweise. Können Sie eine psychologische Methode nennen, mit der man seine eigenen, angelernten Stereotype überlisten kann?

Das ist richtig – soziale Kategorien oder Stereotype sind eine Grundlage unserer Wahrnehmung, unsers Denkens, unserer Empfindungen und unseres Handelns. Eigentlich sollten sie uns das Leben erleichtern, sie können jedoch auch mit Abwertung und Diskriminierung einhergehen und tragen auf gesellschaftlicher Ebene mit dazu bei, bestehende Ungleichheiten oder strukturelle Diskriminierung zu rechtfertigen.

Auch wenn Stereotype sehr langlebig sind und teils über Generationen weitergeben werden, sind wir ihnen nicht einfach nur „ausgeliefert“. Stereotype sind automatische Prozesse (sie sollen uns ja eine schnelle Einschätzung der Lage ermöglichen) und diese können wir sehr wohl beeinflussen, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf sie lenken. Der erste Schritt ist also kontinuierliche Selbstreflexion, d.h. dass wir uns unserer eigenen Stereotype erst einmal bewusst werden.
Idealism Prevails:

Direkte Demokratie bedeutet, den Bürger stärker in die Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen – allerdings birgt dies auch das Risiko, daß Demagogen dieses Instrument nutzen, um an die Macht zu kommen oder politische Akteure dieses Willensbildungsinstrument zweck entfremden, um sich einen politischen Vorteil zu verschaffen. Wo stehen Sie persönlich im Spannungsfeld direkte vs. repräsentative Demokratie?

Mag. Martina Zandonella:

Demokratie funktioniert nur, wenn sich die Menschen beteiligen, wobei diese Beteiligung für eine lebendige Demokratie über die Teilnahme an Wahlen hinausgehen muss. Formen der direkten Demokratie geben den Menschen die Möglichkeit dazu.

Eine Herausforderung für die direkte Demokratie besteht meiner Meinung nach darin, dass sich nicht alle Menschen im selben Ausmaß beteiligen – Studien zeigen, dass sich Menschen mit höheren Ressourcen auch stärker über Formen der direkten Demokratie – z.B. im Rahmen von Bürgerinitiativen – in die Gestaltung der Gesellschaft einbringen.

Demagogen haben eine Vorliebe für Volksabstimmungen, in deren Rahmen eine Frage mit häufig weitreichenden Folgen (Brexit, Öxit) mit einem schlichten Ja oder Nein beantwortet werden muss. Gleichzeitig sind sie nicht dazu bereit, den für diese Fragen nötigen intensiven politischen Diskurs zu führen.

Und hier kommen wir zu einer wichtigen Funktion der repräsentativen Demokratie: In einem gewählten Gremium, dem auch zahlreiche ExpertInnen zur Verfügung stehen, finden eben diese Diskurse, Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse (auch unter Einbeziehung der Rechte von Minderheiten) statt.

Zum Blog-Beitrag Schadet Ungleichheit der Demokratie:

Idealism Prevails:

Höheres Einkommen bedeutet aus Ihrer Sicht also auch verstärkte politische Partizipation: Ist mit Partizipation vor allem die Beteiligung an Wahlen gemeint (aktives Wahlrecht), oder der Wunsch, Politik aktiv mitzugestalten (passives Wahlrecht)? Oder beides?

Mag. Martina Zandonella:
Die Forschung zeigt, dass BürgerInnen, die über vielfältige persönliche Ressourcen verfügen, wie z.B. einem höherem finanziellen Einkommen, sowohl häufiger an Wahlen teilnehmen, als auch sich häufiger über andere Formen der Beteiligung und Willensbildung politisch und zivilgesellschaftlich betätigen (z.B. in Bürgerinitiativen).

Ob Sie sich auch häufiger als PolitikerInnen betätigen, ist mir nicht bekannt.

Idealism Prevails:

Wie erklären sie sich das Phänomen FPÖ oder aktuell den Erfolg Trumps – es heißt doch gemeinhin, daß Populisten vor allem von den weniger Vermögenden gewählt werden? Wenn das so stimmt, dann gehen diese offensichtlich in großer Zahl zur Wahl.

Mag. Martina Zandonella:
Hierbei ist zu bedenken, dass die „weniger Vermögenden“ der Großteil unserer Gesellschaften ausmachen – selbst wenn diese seltener zur Wahl gehen, bestimmen sie dennoch das Wahlergebnis. Die „weniger Vermögenden“ sind allerdings auch eine sehr heterogene Gruppe: Tatsächlich Arme oder auf eine andere Weise exkludierte Menschen (z.B. Arbeitslose) haben dabei eine besonders geringe Wahlbeteiligung.
Idealism Prevails:

Der Gini-Koeffizient ist in den letzten drei Jahrzehnten gestiegen. Der Beginn dieses Effektes liegt also in den 80er-Jahren. Hängt dies Ihrer Meinung nach mit der wirtschaftlichen Kehrtwende hin zum Neoliberalismus in den USA und Großbritannien (Reagonomics, Thatcherismus) zusammen? Welche anderen Begründungen dafür gibt es zB. für Österreich?

Mag. Martina Zandonella:

Hier gibt es durchaus Zusammenhänge, gefolgt vom sogenannten „dritten Weg“, den Sozialdemokratische Parteien in z.B. Großbritannien, Deutschland oder Österreich eingeschlagen haben. Die mit diesen Entwicklungen einhergehenden Veränderungen in der Arbeitswelt (z.B. Prekarisierung auf allen Ebenen) und im Sozialwesen (Abbau sozialer Sicherungssysteme, Stichwort „Hartz IV“) tragen zur zunehmenden Ungleichheit bei.

Idealism Prevails:

Zur Höhe der Wahlbeteiligung: Eine Kollegin von Ihnen, die vor einigen Monaten in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ zu sehen war, hat darauf hingewiesen, daß eine niedrige Wahlbeteiligung auch als Zustimmung zur aktuellen Politik verstanden werden kann: Es läuft alles gut, also brauche ich nicht zur Wahl gehen. Hohe Wahlbeteiligung hingegen deute auf eine aufgeheizte Stimmung hin. Wie sehen Sie das?

Mag. Martina Zandonella:

Dem stimme ich zu. Gleichzeitig sollten bei dieser Diskussion jedoch jene Gruppen nicht vergessen werden, die nicht zur Wahl gehen, weil sie das Gefühl haben, dass ihre Stimme nichts (mehr) bewirken/ändern kann.

Idealism Prevails:

Zur Wirksamkeit des politischen Systems: Rechtlich hat sich am Wahlsystem in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg in Österreich wenig geändert (Ausnahmen: Senkung des Wahlalters & Verlängerung der Legislaturperiode des Nationalrats). Warum ist die Effizienz der politischen Institutionen gerade heute so gering wie selten zuvor? Liegt es an den wahrgenommenen Ähnlichkeiten der Parteien oder daran, daß sich die Wähler weniger bis gar nicht mit politischen Programmen auseinandersetzen, bei einer Umfrage auf der Straße aber rasch bereit sind, sich als politikverdrossen zu äußern?

Mag. Martina Zandonella:

Mit der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft wurden auch die Parteibindungen loser und das Parteienspektrum größer. Die Menschen haben auch zunehmend das Gefühl, dass die Politik selbst – zB. gegenüber Konzernen – an Gestaltungskraft eingebüßt hat.

Parteiprogramme haben für den/die durchschnittlichen Wähler/in noch nie eine große Rolle gespielt. Was jedoch für WählerInnen entscheidend ist, sind Fragen wie:

Wird es unseren Kindern einmal zumindest gleich gut oder besser gehen? Und wie schaffen wir das? – Darauf gibt die Politik derzeit zu wenig Antworten.
Idealism Prevails:

Zur Einkommensungleichheit und Ghettobildung (Akademiker leben bei Akademikern – zB. die Wiener Gürtelbezirke, Arbeitslose in günstigen Bezirken) in der Gesellschaft: Kann und soll man diesen Trends durch aktive Stadt-/Gemeindegestaltung (Siedlungsplanung, Mietbeihilfen etc) entgegenwirken?

Mag. Martina Zandonella:
Der Blick auf die soziale Durchmischung sollte in keiner Stadtplanung/ Stadtentwicklung fehlen. Die soziale Durchmischung trägt zu mehr Chancengleichheit bei und kann einen Beitrag leisten um das Auseinanderdriften der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zu verhindern.

Das Team von Idealism Prevails bedankt sich herzlich für das Interview, sowie für die ausführliche Beantwortung unserer Fragen!

Credits

Image Title Autor License
Autoritarismus Autoritarismus Christian Janisch CC BY-SA 4.0
persönlichkeit new header persönlichkeit new header Christian Michelides/Burgtheater CC BY-SA 4.0