Wie gehen Sie als Wissenschaftler mit Informationen um? – Prof. Václav Cílek

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Meinung

Alexander Stipsits von Idealism Prevails hatte die großartige Chance, Professor Václav Cílek zu treffen. Cílek ist tschechischer Geologe, Klimatologe, Schriftsteller, Philosoph, Wissenschafts-Popularisator und Übersetzer von Tao- und Zen-Texten. In einer Serie aus drei Teilen versucht Sascha, mehr über den allgemeinen Umgang mit Informationen zu erfahren.

Für diejenigen, die Sie nicht kennen, Herr Cílek: Könnten Sie uns einen biografischen Hintergrund vermitteln?

Mein Leben ist nicht so wichtig, aber primär habe ich an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität in Prag Geologie und Umweltgeologie studiert. Ich wurde auch zum Bergmann ausgebildet, aber seit 1990 arbeite ich viel mit Archäologen an Projekten wie dem Paläoklima, der Transformation von Zivilisationen, dem Zusammenbruch und der Erneuerung von Zivilisationen sowie der Entwicklung der mitteleuropäischen Landschaft.

Ich schrieb eine Reihe von Büchern – einige davon wurden mit Preisen ausgezeichnet – und drehte rund hundert Dokumentarfilme für das Fernsehen, vor allem über historische Denkmäler und Landschaftsdenkmäler.

Lassen Sie uns nun auf Aspekte Ihrer Arbeit eingehen, die ich kenne. Im Moment herrscht eine große Debatte über „Information“ im Allgemeinen, und zwar darüber, welche Informationen echt und welche gefälscht sind. Ich frage Sie nun als klassisch ausgebildeter Wissenschaftler: Wie gehen Sie mit Informationen um, wie kommen Sie zu Ihren Schlussfolgerungen, wie bilden Sie sich weiter, wo finden Sie Ihre Quellen, was sind Ihre Quellen? Und welchen Ratschlag richten Sie an jene Menschen, die versuchen, egal welches Problem wahrhaftig zu verstehen?

Ich bin mir nicht ganz sicher, was hier vor sich geht. Aber seit der Migrationskrise hat sich das Medienverständnis in einem großen Ausmaß vom Verständnis der Menschen abgelöst. Ein negativer Aspekt der mitteleuropäischen Medien ist, dass man als Individuum mit linker Überzeugung als linker Aktivist bezeichnet wird; und wenn man mehr vom rechten Flügel kommt, ist man gleich ein Neofaschist. Das ist etwas, das außer Kontrolle geraten ist.

Es gibt Studien darüber, was der „normale Mensch“ denkt. Aber sagen wir 30-40%, vielleicht sogar mehr, der einfachen Leute auf der Straße haben Ansichten, die von Journalisten als rechtsgerichtet eingestuft werden könnten. Wenn man normale Menschen betrachtet, ist es eine Mischung aus fast extremistischen linken Meinungen, wie z.B. über die Banken, und rechten Meinungen.

Dazu gibt es nicht viel zu sagen.

Wenn man einmal über den „richtigen“ Aspekt spricht, taucht er zum Beispiel bei den Wahlen in den USA auf … ungewöhnliche Phänomene, etwas Unerwartetes. Das war der Beginn, sagen wir mal, der Krise. In letzter Zeit, im letzten Jahr, vor allem in der Tschechischen Republik … ich möchte nur über meine eigenen Erfahrungen sprechen. Ich fühle, dass ich in einen immer dichter werdenden Nebel gerate.

Ich habe Schwierigkeiten, an die offiziellen Medien zu glauben. Ich stelle fest, dass die Journalisten ihre eigene Meinung haben und diese auch verfolgen. Das war schon immer so, aber jetzt machen sie selbst Politik, anstatt nur Fakten zu liefern. Oder zumindest eine Auswahl. Ich habe also große Schwierigkeiten, die tschechischen Massenmedien zu verstehen.

Aber was kann ich dagegen tun?

Ich beschäftige mich nicht viel mit diesen Dingen. Manchmal überprüfe ich BBC, aber nicht sehr konsequent, und Al Jazeera auf Englisch. Natürlich ist Al Jazeera in die andere Richtung voreingenommen, aber wenn man Informationen über China, Indien, über das, was in Pakistan, in den anderen Weltregionen, also nicht nur in Paris usw. passiert, bekommen will, sollte man AL Jazeera als Quelle wählen. Besonders wenn es um Dokumentarfilme über die Not der syrischen Bauern während der Dürre geht, um das Leben der Menschen in Anatolien … aber das ist nur ein Aspekt.

Massenmedien werden oft als „schnelle Medien“ bezeichnet, also sollte man sie mit den „langsamen Medien“ kombinieren. Ich hole mir das meiste Wissen aber aus Büchern. Natürlich werden Bücher erst einige Zeit nach dem Schreiben veröffentlicht. Wenn sie aus guten Verlagen kommen, werden sie auch keine systematischen Fehler enthalten. Wenn wir aber über die Zukunft oder die Bewertung bestimmter komplexer Zusammenhänge sprechen, kann es natürlich zu Fehlern kommen.

Aber da kann man sagen: Das sind Fehler der aktuellen Wissenschaft und nicht von jemandem, der offensichtlich auf Manipulation bedacht ist. Das ist die Art von Information, die mir eine Vorstellung von weiteren Trends bietet. Die andere Quelle, auf die ich mich verlasse, sind Expertendossiers. Es gibt mehrere, wie z.B. „State of the World„. Oder „Global Risk“ vom World Economic Forum. Es gibt Organisationen, die in höchster Qualität publizieren. Ich lese diese Berichte und mache daraus oft zusammenfassende Artikel für die öffentlichen Medien. Im Grunde genommen deshalb, um selbst das Gelesene zu begreifen.

Ich danke Ihnen. Sie sind jemand, der als Wissenschaftler versucht, aus dem „Elfenbeinturm“ auszubrechen, und Sie sagen, es sei wichtig für Sie, die Öffentlichkeit miteinzubeziehen. Die breite Öffentlichkeit über komplexe Zusammenhänge zu informieren. Können Sie erklären, wie Sie sich als „Popularisierer“ der Wissenschaft verhalten? Sie werden viel kritisiert für die Art und Weise, wie Sie Ihre eigene Wissenschaft und deren breiteres Spektrum darstellen.

Es gibt mehrere Gesichtspunkte. Erstens: Es gibt so viele interessante und wichtige Dinge, die niemanden interessieren. Wenn man so wie ich zur Zeitung wechselt, erkennt man, dass dort viele junge Menschen als Journalisten ohne viel Verantwortung und ohne Kinder arbeiten, und sie sind sehr beschäftigt. Denn wo lässt es sich als Medium am besten Geld sparen? Bei den Menschen. Also bedienen sich diese Leute einiger weniger Quellen, und diese Informationen ziehen dann ihre immer wiederkehrenden Runden.

Doch die Öffentlichkeit braucht das, was ich die „Erweiterung der semantischen Feinde“ nenne. Einfach neue Themen einzubringen. Neue Einstellungen, die Nachrichten aus allen Teilen der Welt zu bringen und die Erweiterung von Themen, über die man spricht. Ich für meinen Teil habe seit circa 1988 begonnen, über das Klima als populäre Wissenschaft zu schreiben. Es ist jetzt fast dreißig Jahre her, und durch meine Beobachtungen in der Literatur und der damit einhergehenden Meinungsverschiedenheiten glaube ich, einen gewissen Hintergrund in der Klimatologie zu kennen.

Ein Grund, warum man Sie stark kritisiert, ist die Tatsache, dass Sie keine völlig klare Grenze zwischen strenger Wissenschaft und ihrem intuitiveren, poetischeren Blick auf die Welt ziehen. Wie sind Sie als Wissenschaftler an den Punkt gelangt, dass Sie Dinge zulassen, die wir in der Wissenschaft noch gar nicht messen können?

Unser Verständnis von Wissenschaft ist ein Ergebnis der Aufklärung. Es handelt sich um das Ergebnis, dass die Kirche zu mächtig wurde und die Menschen der intellektuellen Unterdrückung entkommen wollten. Das geschah im 16., 17. Jahrhundert in England, Frankreich usw.; in Böhmen vielleicht im späten 18. und sogar 19. Jahrhundert. In dieser Zeit gab es den wissenschaftlichen Standpunkt – nennen wir ihn den spirituellen Standpunkt.

Wenn man hingegen z.B. Aristoteles liest, sieht er einen logischen Teil des Verstandes, und dann auf der anderen Seite den irrationalen Teil des Verstandes. Das ist der Teil des Bewusstseins, der einem hilft, zum Beispiel Musik zu verstehen. Emotionen durch Poesie … das einzige, was man wissen muss, ist, in welchem Teil des Bewusstseins man sich befindet.

Ich sage mir: Das ist wissenschaftlich fundiert, aber jetzt verlasse ich das Feld der Wissenschaft und tauche ein in die Sphäre der Evaluierung, der Reflexion darüber, der Phänomenologie, der Interpretation … ich nutze den zusätzlichen, den vollen Verstand, um zu kombinieren. Ich denke, dass ich nicht komplett bin ohne diese Kombination. Wie Tomas Aquinas sagt: Die Vernunft ist etwas Göttliches in ihrem Ursprung. Das mag für Wissenschaftler jetzt schwer zu akzeptieren sein.

Ich versuche, weil es für mich selbstverständlich ist, ein vollkommener Mensch zu sein und nicht den Verstand von der Geisteshaltung zu trennen. Das macht mich sicherlich angreifbar, aber ich höre es mir an.

In Kürze folgen zwei weitere Teile des ausführlichen Gesprächs mit Prof. Vaclav Cílek. Darin werden Fragen um den Klimawandel, die Migration und um weitere Themen, die die Menschheit in Zukunft vor komplexe Aufgaben stellen werden, behandelt.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

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Václav_Cílek- Václav_Cílek- CeSt CC BY 3.0