Der Weisheit letzer Schluss – Was ist eine Meinung wert?

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 7/24

Wenn es um die Freiheit der Rede und der Meinung geht, scheiden sich die Geister heutzutage mehr denn je. Davon beeinträchtigt wird in hohem Maße auch die Pressefreiheit. Diese, nämlich die umfassende und im Idealfall sogar vollständige Information zu ermitteln und zu verbreiten, ist jedoch die Basis für die unbeeinflusste und eigenverantwortliche Meinungsbildung, die dann wiederum die Grundlage für meine Entscheidungen als Bürger ist. Demokratie braucht das, sonst ist sie in Gefahr, sich selbst abzuschaffen.

Nun sind jene, die an der Macht sind, weil wir Wähler sie in der Regel dazu ermächtigt haben, nicht immer – manche behaupten sogar immer weniger – daran interessiert, alle Informationen zur Verfügung zu stellen bzw. durch die Medien stellen zu lassen, die einstmals stolz als – neben Legislative, Exekutive und Judikative – vierte Gewalt im Staat tituliert wurden. Wenn man sich die stetig wachsende Anzahl der Mitarbeiter in den Pressestellen der Ministerien und ihr gegenüber die stetig sinkende Anzahl von Journalisten in den Redaktionen (kürzlich hat die Tageszeitung KURIER verlautet, dass 40 Mitarbeiter zur Kündigung angemeldet wurden) anschaut, dann lässt sich leicht erkennen, woher und wohin der Wind weht. Meldungen und Berichte werden immer häufiger durch Übernahme von Pressemitteilungen gestaltet, denn durch persönliche Recherche bzw. Gegenrecherche. Damit kommt oftmals nur die halbe Wahrheit ans Licht, die dann aber, da unwidersprochen, als die einzig wahre Wahrheit gilt. Alles andere ist dann schon in Richtung, nahe an oder sogar „wirklich“ … na ja, nennen wir es doch beim dafür gebräuchlichen V-Wort: Verschwörungstheorie. In diese Ecke werden dann oft unabhängige und „freie“ Medien gestellt. Wie im Mainstream gibt es auch in diesem Pressesegment jene, die der Wahrheit dienen wollen und jene, die sich der Verbreitung von „Sensationen“ verpflichtet fühlen.

Mitte dieser Woche fand in London eine Anhörung von Julian Assange, der von den einen zur Ikone der Pressefreiheit und von den anderen zum Geheimnisverräter und Spion hochstilisiert wurde, bezüglich der von den USA geforderten Auslieferung statt. In diesem Rahmen ging es – wie die BBC berichtet – um eine von den Anwälten von Assange geforderte Möglichkeit, gegen diesen Antrag der Vereinigten Staaten berufen zu können. An den beiden Tagen kam zuerst die Seite des WikiLeaks-Gründers zu Wort, die ihn als politischen Gefangenen darzustellen versuchte, der zu Unrecht in Auslieferungshaft genommen wurde. Danach hatten die Vertreter der USA das Wort: sie bezeichneten die Aktivitäten von Assange als Geheimnisverrat, der zur Gefährdung von US-Bürgern und -Soldaten geführt hätte. Die beiden Richter, die der Anhörung vorstanden, versuchten sich ein Bild zu machen, auf dessen Basis sie ihre Entscheidung treffen können. Vor dem Gerichtsgebäude und an zahlreichen anderen Plätzen in der Welt – so auch in Wien – kam es zu Solidaritätskundgebungen für den inhaftierten Investigativjournalisten. Anders als erwartet trafen die Richter aber keine spontane Entscheidung über den Antrag der Anwälte von Assange; verlautet wurde, dass das Ergebnis der Beratungen erst später bekannt gegeben werde. Beobachter gehen von einem Termin Mitte März aus. Es ist eine menschliche Tragödie, die sich hier vor unser aller Augen abspielt: der Umgang mit Julian Assange ist für mich nicht nachvollziehbar; seine nunmehr schon fast fünfjährige Gefangenschaft in Auslieferungshaft in einem Hochsicherheitsgefängnis erweckt zunehmend den Anschein mangelhafter Rechtsstaatlichkeit.

Schon im Vorfeld der Anhörung wurden auf Initiative der Chefredakteurin des Online-Magazin fürs Freisein „Unsere ZeitenWende“ Daniela Lupp gemeinsam mit Candles4Assange Österreich und dem Österreichischen Journalisten Club (ÖJC) Offene Briefe mit ihnen beigelegten persönlichen Statements namhafter Persönlichkeiten an die Botschaften von Australien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika verfasst und an diese übermittelt.

Zudem organisierte die damals noch dem ÖJC-Vorstand angehörende Investigativjournalistin und Chefredakteurin der Zeitschrift „Die Krähe“, Liza Ulitzka, für den Tag nach der Anhörung eine Podiumsdiskussion mit der preisgekrönten Ö1-Journalistin Daphne Hruby, dem Menschenrechtsexperten und ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für Folter Prof. Manfred Nowak und dem Präsidenten von Reporter ohne Grenzen Prof. Fritz Hausjell, die sie auch moderieren sollte. Wenige Tage davor wurde den Mitgliedern des ÖJC in einer Aussendung mitgeteilt, dass Ulitzka nicht mehr dem Vorstand angehöre. Sie selbst stellte die Situation in zwei Beiträgen auf der Website ihrer Publikation anders dar, sprach von einem Zusammenhang mit der von ihr initiierten Diskussionsrunde und internen Bedenken dagegen, die sogar zu einer Absage der Veranstaltung führen hätten sollen. In einer von mir – als Mitglied des ÖJC – von dessen Vorstand geforderten Stellungnahme meldete sich zunächst dessen Generalsekretärin zu Wort, die um Verständnis dafür bat, dass es sich um eine vereinsrechtliche Angelegenheit handle und daher keine Stellungnahme abgegeben werden würde. Als Liza Ulitzka wenige Tage später ein Anwaltschreiben veröffentlichte, in dem sie aufgefordert wird, ihren Artikel zu löschen, weil man ansonsten den Rechtsweg beschreiten werde, schrieb ich ein weiteres E-Mail an die Vorstandsmitglieder der Journalistenvereinigung. Diesmal antwortete deren Präsident persönlich, lud mich wortreich zur oben angeführten Diskussion ein und endete mit einem Absatz zu meiner eigentlichen Frage wie folgt: „Was den von Ihnen erwähnten vereinsrechtlichen Fall aus der vergangenen Woche betrifft möchte ich gerne darüber informieren, dass der ÖJC und damit auch seine Mitglieder die österreichischen Gesetze, die Vereinsstatuen und den Österreichischen Journalistenkodex einhalten und wir daher zu laufenden Verfahren keine Stellungnahme abgegeben.“ Noch zu ergänzen ist, dass der ÖJC-Präsident wenige Tage vor diesen Ereignissen überraschend seinen Rücktritt angekündigt und für Mitte Mai zu einer außerordentlichen Generalversammlung eingeladen hatte. Für mich ist die vom ÖJC-Vorstand gewählte Vorgangsweise den eigenen Mitgliedern und auch mir als Journalisten gegenüber nicht wirklich nachvollziehbar, da ich auf diese Weise nur die halbe Wahrheit übermitteln kann. Über die andere Hälfte der Wahrheit lässt sich natürlich trefflich spekulieren, was ich aber hier aus Gründen der Seriosität nicht machen werde.

Die ÖJC-Diskussionsrunde fand jedenfalls trotzdem statt; statt Liza Ulitzka moderierte nun Daphne Hruby. Dabei stellten sich die beiden Gäste den brisanten Fragen von Frau Hruby, die mit ihrem Feature über Julian Assange, das im ORF-Radiosender Ö1 ausgestrahlt wurde, mit dem Claus Gatterer-Preis bedacht wurde. Bezug genommen wurde unter anderem auf die in einem Buch des ehemaligen UN-Sonderberichterstatters für Folter Nils Melzer mit dem Titel „Der Fall Julian Assange – Geschichte einer Verfolgung“ zusammengefasste Historie der Causa. Prof. Nowak stellte das Strafrecht der USA jenem europäischer Rechtssysteme gegenüber. Bei Ersterem handelt es sich um ein Vergeltungsstrafrecht, ein Gedanke der Zweiterem, das auf Resozialisierung setzt, schon länger fehlt. Demnach sei tatsächlich zu befürchten, dass Julian Assange bei einer Auslieferung in die USA quasi „lebenslang“ ins Gefängnis verfrachtet wird. Auch die Bedingungen dieser Gefangenschaft ließen sich nicht mit europäischen Standards vergleichen. Er sieht in der Tatsache, dass die Richter noch nicht entschieden haben, einen kleinen Vorteil für Assange, zeigte sich gleichzeitig aber erschüttert über die Vorgangsweise der britischen Justiz, die er im Rahmen seiner Ausbildung zum Juristen als Musterbeispiel für eine moderne und unabhängige Rechtsprechung kennen gelernt habe. Prof. Hausjell betonte in seinem Abschlussstatement, dass die Entscheidung im Fall Assange jedenfalls eine massive Auswirkung auf die Arbeit von Journalisten haben werde. Zuvor hatte er schon die Gründe angeführt, die zu einer defensiven Haltung von Journalisten in Sachen Assange geführt haben und die mit dessen Inhaftierung und den daraus resultierenden „Aussichten“ bei kritischer bzw. investigativer Berichterstattung in unmittelbarem Zusammenhang stünden.

Von Daphne Hruby wurde im Zuge der Diskussion der Tod von Alexej Nawalny ins Treffen geführt. Beide Experten sahen durchaus eine Vergleichbarkeit der Fälle, wollten diese aber nicht gleichsetzen. Ob der kurz vor der Anhörung von Assange publizierte Tod Nawalnys in einem russischen Straflager, in dem er zuletzt unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten wurde, einen Einfluss auf die Entscheidung der Richter nehmen würde, wollten beide nicht ausschließen. Hausjell sah sogar die Möglichkeit, dass sich westliche Politiker durchaus Lorbeeren verdienen könnten, wenn sie sich für eine Freilassung von Assange einsetzten. Man könne sich in diesem Fall auf den Grundsatz „Gnade vor Recht“ beziehen.

In den USA dürfte der Fall einer breiten Öffentlichkeit vorenthalten werden. Dieser Tage hat der unabhängige Präsidentschaftskandidat Robert Kennedy Jr. in seinem Mutterland eine Petition für die Freilassung von Assange initiiert. Auch die Journalisten und Bürger anderer Länder sollten sich weiter oder jetzt erst recht für Julian Assange einsetzen. Denn wie sein Vater John Shipton treffend formulierte: „If he goes down, so journalism will“. Und ich möchte ergänzen: Nicht nur der Journalismus wäre am Ende, sondern auch die hochgelobte und für den Erhalt von Demokratien grundlegende Meinungsfreiheit von uns allen.

Noch kurz zurück zum tragischen Tod von Alexej Nawalny. Der aufgrund der menschenverachtenden Justiz – die übrigens auch so wie in den USA auf einem Vergeltungsstrafrecht basiert – in Putins Russland zu Tode gekommene Politiker ist tatsächlich auch eine umstrittene Persönlichkeit, was in der aktuellen Berichterstattung völlig untergeht. Das rechtfertigt natürlich in keinster Weise die Umgangsweise mit ihm, ist aber wichtig, wenn wir – so wie Prof. Hausjell und Prof. Nowak – einen Vergleich anstellen ohne die beiden Fälle gleichzusetzen. Bei meinen diesbezüglichen Recherchen bin ich auf einen Beitrag der Wiener Zeitung mit dem Titel „Die vielen Gesichter des Alexej Nawalny“ aus dem Jahre 2021 gestoßen, in dem ein differenziertes Bild seiner Person gezeichnet wird. Der Politikwissenschafter und Russland-Kenner Gerhard Mangott hielt es für möglich, dass Nawalny „ideologisch einfach eine Art Opportunist ist, der sich jene Positionen zu eigen macht, von denen er glaubt, dass sie in der Bevölkerung den größten Rückhalt haben“. Und der Politologe Alexander Dubowy konstatierte, dass Nawalny, sollte er Präsident werden, sicher kein Vaclav Havel wäre. Daher darf es, ja muss es sogar erlaubt sein, sich Fragen zu stellen, so wie es ZeitenWende-Chefredakteurin Daniela Lupp macht, ohne dafür gleich geframed oder gecancelt zu werden. Das – wie ich es schon mehrmals an dieser Stelle hier geschrieben habe – ist keine Argumentation, die einen Beitrag zum Diskurs und zur Wahrheitsfindung bietet.

So nimmt es auch nicht wunder, wenn auf Basis einer aktuellen Studie des Gallup-Instituts, nur noch die Hälfte der österreichischen Bevölkerung auf eine richtige und faire Berichterstattung über Innenpolitik durch Nachrichtenmedien vertraut und Politik, Lobbyismus und Werbekunden eine nicht unwesentliche Beeinflussung der Nachrichten unterstellt.

In Zeiten, in denen Feindbilder wieder an der Tagesordnung sind und Schwarz-Weißmalerei und Schönfärberei in eigener Sache Hochsaison haben, ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die Verteidigungsministerin über das aus ihrer Sicht notwendige Wiedererstarken der „geistigen Landesverteidigung“ Gedanken macht. Mit der Positionierung derselben in den schulischen Lehrplänen sei ein sehr wichtiger und wesentlicher Schritt gelungen, meint sie; nun müsse diese angesichts der aktuellen Gefahren- und Bedrohungslage auch in die Köpfe der Bevölkerung gebracht werden. In diesem Zusammenhang bezog sie sich auf eine Umfrage der Zeitschrift Pragmaticus, der gemäß nur 16 Prozent der Österreicher sagen, dass sie „in jedem Fall“ bereit seien, die Heimat „bei einem militärischen Angriff mit der Waffe zu verteidigen.“ Für mich ist diese Sichtweise mit der Brille einer Verteidigungsministerin durchaus nachvollziehbar, mit Konfliktlösungsmodellen im 21. Jahrhundert aber absolut nicht kompatibel. Aber auch hier sind wir alle – also jeder und jede Einzelne – gefordert, einer neuen und konstruktiven Sichtweise auf Konfliktbearbeitung Rechnung zu tragen. Wir haben täglich die Chance dazu.

Ebenso wie wir tagtäglich die Chance haben, uns für die Freiheit von Meinung und die grundlegenden Menschenrechte einzusetzen. Diese sind nämlich trotz all der Erfahrungen, die uns die Weltgeschichte lehrt, noch keineswegs in trockenen Tüchern, sondern paradoxerweise stärker gefährdet als je zuvor.

Bildrechte:
Navalny: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alexei_Navalny_marching_in_2017_%28cropped%29.jpg

Tanner: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2020_Klaudia_Tanner_Ministerrat_am_8.1.2020_(49351575442)_(cropped)_(cropped).jpg

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WG – 2024 KW07-DE-IPHP Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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