Der Weisheit letzter Schluss – Säbelrasseln

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 22/24

Wo sind wir? Was ist das? Wohin verschlug uns der Traum? Dämmerung, Regen und Schmutz, Brandröte des trüben Himmels, der unaufhörlich von schwerem Donner brüllt, die nassen Lüfte erfüllt, zerrissen von scharfem Singen, wütend höllenhundhaft daherfahrendem Heulen, das seine Bahn mit Splittern, Spritzen, Krachen und Lohen beendet von Stöhnen und Schreien, von Zinkgeschmetter, das bersten will, und Trommeltakt, der schleuniger, schleuniger treibt… Dort ist ein Wald, aus dem sich farblose Schwärme ergießen […] Hier ist ein Wegweiser, – unnütz ihn zu befragen; Halbdunkel würde uns seine Schrift verhüllen, auch wenn das Schild nicht von einem Durchschlage zackig zerrissen wäre. Ost oder West? Es ist das Flachland, es ist der Krieg. Und wir sind scheue Schatten am Wege, schamhaft in Schattensicherheit, und keineswegs gesonnen, uns in Prahlerei und Jägerlatein zu ergehen, aber dahergeführt vom Geist der Erzählung, um von den grauen, laufenden, stürzenden, vorwärts getrommelten Kameraden, die aus dem Walde schwärmen, einem, den wir kennen, dem Weggenossen so vieler Jährchen, dem gutmütigen Sünder, dessen Stimme wir so oft vernahmen [Hans Castorp], noch einmal ins einfache Angesicht zu blicken, bevor wir ihn aus den Augen verlieren. (Thomas Mann: Der Zauberberg, S. 980f.)

Wenn man genau hinhört in diese, unsere Zeit, dann lässt sich das von Thomas Mann in seinem Roman Der Zauberberg im 7. Kapitel beschriebene Donnern schon seit geraumer Zeit vernehmen. Noch ist es das Grollen eines Gewitters aus einer gewissen Entfernung, noch ist es das als Säbelrasseln metaphorisch beschriebene Drohen – ja mit was? Zu Ende gedacht wohl mit einem neuerlichen „Weltfest des Todes“ wie Mann den damals bevorstehenden 1. Weltkrieg in seinem Roman nennt. Aus den Fernen der Welt ist er vor etwas mehr als zwei Jahren nach Europa zurückgekehrt. Die Folgen des Angriffs Russlands auf die Ukraine nehmen stetig an Dynamik zu. Obwohl behauptet wird, dass sich niemand aus dem so genannten Westen, also den USA und der EU, im fürchterlichen Kriegsgeschehen einmischt, ist es doch schwer zu übersehen, dass mit der Lieferung von „Verteidigungs-Waffen“ sehr wohl eine – wenn auch indirekte – Beteiligung der Genannten gegeben ist. Eskaliert wird die Lage durch die „Erlaubnis“ der Waffenlieferanten, allen voran Frankreich, die Vereinigten Staaten und Deutschland, mit ihrem Gerät auch strategische Ziele auf russischem Boden – natürlich nur zur Verteidigung – angreifen zu dürfen. Wir sind in kürzester Zeit in eine Welt der Blöcke zurückgefallen, wenn auch mit anderen Playern. Der Westen hat sich „ausgeweitet“, ehemalige Ost-Block-Staaten, die unter dem Regiment der Sowjetunion dem Warschauer Pakt angehörten, sind der NATO beigetreten oder zumindest unter deren Einfluss geraten. Auf der anderen Seite haben sich die BRICS-Staaten zusammen getan, denen neben den Gründern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika seit Jänner dieses Jahres auch Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate angehören. Damit sind wir in kürzester Zeit auch wieder der Schwarz-Weiß-Rhetorik vom guten Westen und dem bösen Osten verfallen. Wir sind in kürzester Zeit auch wieder in das Märchen vom „Frieden schaffen mit Waffen“ abgedriftet, das bei genauer und kritischer Betrachtung noch nie funktioniert hat. Die unsägliche Logik hinter solchen Aussagen ist der Tatsache geschuldet, dass mit einer Überzahl an Waffen der „Feind“ unter der Inkaufnahme von zahllosen unschuldigen Opfern in die Knie gezwungen werden kann, so dass er kapituliert und damit endlich wieder „Frieden“ herrscht. Ein solcher Friede aber birgt schon die Wurzel für den nächsten Konflikt in sich, der letztlich zu Terror und neuen Kriegen führen kann, ja leider all zu oft auch wird.

Die Menschenrechte gehen dabei vollkommen vor die Hunde. Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak konstatierte in seinem Gespräch mit dem Philosophen Richard David Precht genau die beschriebene Entwicklung. Die Chance, die sich in den 1990er-Jahren ergeben hätte, der Welt ein neues, friedliches Antlitz zu geben, wurde nach und nach verspielt. Alte Feindbilder wurden aufgewärmt, neue geschaffen. Der Kalte Krieg ist zurück gekehrt und in der Lage durch einen Funken in eine heiße Phase zu geraten, die kein vernünftiger Mensch sich wünschen kann. Da Krieg oder die Vorstufe davon, auch mit den Worten, dass man einen Krieg verhindert, wenn man dem anderen zeigt, welche Waffen man in seinem Arsenal hat, immer auch ein Geschäft – zwar nur für wenige – ist, sind Situationen, wie wir sie jetzt erleben, durchaus erwünscht. Da wird mit allen Mitteln gekämpft, die „einfachen“ Bürger durch Propaganda der Kriegstreiber auf die eigene Seite zu ziehen. Viel ist dieser Tage auch von hybrider Kriegsführung zu hören, die das eben beschriebene Ziel hat und dazu beitragen will, dass sich die Gesellschaft spaltet und eine Art Bürgerkrieg mit Worten als Waffe entsteht.

Der Krieg in der Ukraine droht auch eine weitere Eskalationsstufe zu erreichen, ausgelöst durch Zusagen des französischen Staatspräsidenten Macron, der in seinen bilateralen Gesprächen den bislang zaudernden deutschen Kanzler Scholz davon überzeugt zu haben scheint, dass es möglich sein muss, dass die Ukraine die von den beiden Staaten gelieferten Waffen zur Verteidigung auch auf russischem Staatsgebiet nutzt. Diese Initiative wird auch von den USA unterstützt. Der russische Präsident Putin bleibt vorerst mal ruhig, bei einem Treffen des von ihm initiierten Wirtschaftsforum in St. Petersburg hat er dem wiederholten Drängen des Politologen Sergei Karaganow nach präventiven Nuklearschlägen seitens Russlands nicht nach gegeben. Einer direkten Verhandlungslösung kann Putin aber weiterhin nichts abgewinnen, zuletzt hat er die Legitimität des ukrainischen Staatsoberhauptes Wolodymyr Selenskyj in Zweifel gezogen, weil dessen Amtszeit am 21. Mai abgelaufen sei. Tatsächlich wurden die für das heurige Frühjahr angesetzten Wahlen von Selenskyj wegen des anhaltenden Krieges auf unbestimmte Zeit verschoben. Putin hält daher den ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk für den passenden Ansprechpartner.

Aufgrund dieser Situation wurde Putin auch nicht zu den Feierlichkeiten des 80. D-Days, an dem alljährlich am 6. Juni der Landung der alliierten Truppen in der Normandie gedacht wird, eingeladen. Auch die von Frankreich präferierte Einladung einer russischen Delegation wurde von den anderen Alliierten abgelehnt. Auch in diesem Fall gelingt es nicht, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, was zugegebenermaßen eine Gratwanderung wäre, die auch völlig missverstanden werden könnte.

In dem ganzen Eskalationswahnsinn, der leider nur Verlierer hinterlässt, hat sich der Fußballklub Borussia Dortmund dazu entschieden, eine Partnerschaft mit dem deutschen Waffenhersteller Rheinmetall einzugehen. Der Vorsitzende der Geschäftsführung Hans-Joachim Watzke versucht das in einer Aussendung so zu rechtfertigen: „Sicherheit und Verteidigung sind elementare Eckpfeiler unserer Demokratie. Deshalb halten wir es für die richtige Entscheidung, uns sehr intensiv damit zu beschäftigen, wie wir diese Eckpfeiler schützen. Gerade heute, da wir jeden Tag erleben, wie Freiheit in Europa verteidigt werden muss. Mit dieser neuen Normalität sollten wir uns auseinandersetzen. Wir freuen uns auf die Partnerschaft mit Rheinmetall und öffnen uns als Borussia Dortmund ganz bewusst für einen Diskurs.“ Die Frage, ob dieser Diskurs auch zu einer Rücknahme der Entscheidung führt, lässt sich noch nicht beantworten. Das wird wohl auch davon abhängen, wie lange der Atem der den Deal kritisierenden Fans ist – oder ob deren Fußballmania die Überhand gewinnt und ihn wieder vergessen macht. Immerhin wird Rheinmetall nicht am Trikot präsent sein, obwohl dies nicht verboten wäre, wie das bei Werbung für Religion, Politik, Pornografie, Rassismus, Schnaps und Tabak ist.

Die vielen Säbelrassler übertönen all die anderen ebenso relevanten Ereignisse in unserem Land, in Europa und dem Rest der Welt. Ihnen möchte ich hier noch mehr oder weniger Raum geben.

Da starb dieser Tage die erste Bundeskanzlerin der Republik Österreich Brigitte Bierlein im 74. Lebensjahr. Sie hatte nach der Regierungskrise ausgelöst von den Ibiza-Videos um den ehemaligen FPÖ-Chef Strache und den Sturz der Regierung Kurz durch ein Misstrauensvotum von Juni 2019 bis Jänner 2020 eine Expertenregierung angeführt.

Ein wesentlicher Player der türkis-schwarzen Gesinnungsgemeinschaft, nämlich der erste Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, wird dem neuen Parlament nicht mehr angehören. Das mag verschiedene Gründe haben, einer davon die schrumpfende Perspektive, das Amt des 2. Mannes im Staat nach den nächsten Nationalratswahlen im Herbst dieses Jahres und einem prognostizierten FPÖ-Erfolg nochmals bekleiden zu können. In den letzten Monaten ist es Sobotka auch immer weniger gelungen, seiner wachsenden Kritikerschar Paroli zu bieten. Möglicherweise hat er auch parteiintern an Unterstützung verloren, da er aufgrund seiner Halsstarrigkeit zur zunehmenden Belastung für seine Partei geworden ist.

In den Niederlanden ist nun sechs Monate nach den vorgezogenen Parlamentswahlen endlich eine Regierung angelobt worden, die Schwierigkeit bestand unter anderem darin, dass der Wahlsieger Geert Wilders von seinen potentiellen Koalitionspartnern als Premierminister abgelehnt wurde. Wilders hat sich daraufhin entschieden, diese Position nicht zu fordern, insgesamt besteht die Regierung aus vier Parteien aus einer Mischung von Politikern und Experten. Als Regierungschef wurde der ehemalige Geheimdienstchef des Landes Dick Schoof installiert, der vor allem für seinen harten Kurs in Sachen Migration und Asyl bekannt ist.

In Mannheim fand kürzlich ein folgenschweres Attentat auf den als „Islamkritiker“ bzw. „islamfeindlichen Aktivisten“ bezeichneten Michael Stürzenberger statt. Dabei wurden er selbst und weitere Personen vom Attentäter mit einem Messer verletzt, ein Polizist kam dabei zu Tode. Der muslimische Attentäter, dem ein islamistisches Motiv unterstellt wird, wurde von der Polizei angeschossen. Über die tatsächlichen Hintergründe gibt es noch keine endgültige Klarheit, gegen den Täter wurde ein Haftbefehl ausgestellt. Spannend zu beobachten war, dass in einer Gesellschaft, die sich grundsätzlich massiv gegen Rechts stellt, plötzlich Sympathien für den rechts im politischen Spektrum einzuordnenden Stürzenberger entstanden sind, weil er sich als Kämpfer gegen den politischen Islam hervorgetan hat, den die Deutschen zunehmend zu fürchten beginnen. Da das Problem sehr komplex ist, nützen einfache Mittel, wie sie der Aktivist anwendet nicht, um ihm beizukommen. Auch hier ist ein sachlicher Diskurs, der durchaus seine Zeit in Anspruch nehmen wird, um eine gute Lösung zu finden, allen Hauruck-Aktionen vorzuziehen, die furchtbare Ereignisse wie dieses auszulösen im Stande sind. In diesem Zusammenhang hat der Innenpolitik-Chef der Kleinen Zeitung Walter Hämmerle in einem Kommentar davon gesprochen, dass wir (solche) Helden (wie den verstorbenen Polizisten) brauchen. Dazu dann am Schluss meines Wochenrückblicks mehr.

Bei den Wahlen in Südafrika hat der ANC erstmals seit dem Ende der Apartheid und der Übernahme der Macht im Land seine absolute Mehrheit eingebüßt, womit eine neue politsche Ära bevorsteht. Das dürfte auch in Mexico der Fall sein, wo Claudia Sheinbaum zur neuen Präsidentin gewählt wurde. Sie gehört zwar ebenso der Linkspartei an wie ihr Vorgänger, hat aber durchaus eigene Ideen, die sich von denen ihres Parteikollegen unterscheiden und womöglich, wenn sie sich durchsetzt, neue Impulse für das Land bringen.

Die Verurteilung des US-amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump im Schweigegeldprozess hat so manch einen seiner Gegner in Euphorie versetzt. Das Strafmaß wird erst in rund vier Wochen bekannt gegeben, eine Gefängnisstrafe ist unwahrscheinlich – und selbst wenn sie ausgesprochen würde, stünde das weder seiner Kandidatur bei den Wahlen im November noch einem möglichen Amtsantritt im Wege.

Bei den Anfang Juli bevorstehenden Wahlen in Großbritannien hat sich nun auch die Reform Party als dritter ernstzunehmender Mitspieler hervorgetan. Brexit-Ikone Nigel Farage hat bekannt gegeben für die Partei, der er jahrelang vorgestanden ist, in den Wahlkampf einzusteigen. Das dürfte die Chancen der Torys mit Premierminister Rishi Sunak endgültig in den Keller treiben, wie Kenner der Materie vermuten.

Die Bildungskrise in unserem Land nimmt immer krassere Formen an. So wurde in der Zeit im Bild davon berichtet, dass im ablaufenden Schuljahr knapp die Hälfte aller Schüler Nachhilfe in Anspruch nehmen musste, vor allem in Mathematik und für den Sprachunterricht. Auch das Aus für die Vorwissenschaftliche Arbeit (VWA), die vor der Matura abzugeben war, wurde bekannt gegeben. Als Grund dafür wurde der zunehmende Einsatz der KI durch die Schüler für deren Erstellung genannt. Die genaue Form des Ersatzes ist noch nicht festgelegt, es soll sich dabei um eine Art Projektarbeit handeln, bei der angehende Maturanten beweisen müssen, dass sie den Sachverhalt auch verstehen und praktisch anwenden können. Und in der Tageszeitung „Die Presse“ stellte man sich die Frage, ob unsere Universitäten geistig am Ende sind. Alles zusammen Impulse, um dem österreichischen Bildungssystem den nötigen Restart zu ermöglichen. Zu befürchten ist allerdings, das hier kein Zusammenhang hergestellt wird und an den einzelnen Aufgaben herumgedoktert wird, so dass die Symptome verschwinden. Sie werden aber in anderer Form auch in der Zukunft immer wieder aufpoppen – so lange bis wir endlich begreifen, dass Bildung im 21. Jahrhundert neue Grundlagen und Regeln braucht, um den (jungen) Menschen gerecht zu werden. Überlegungen dazu gibt es viele, sie müssen endlich ernst genommen, aufgegriffen und auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden. Aus meiner Sicht ist da viel Zukunftsträchtiges dabei.

Kommen wir abschließend, wie weiter oben schon angesprochen, nochmals auf die vermeintliche Notwendigkeit von Helden. Der Begriff ist nicht so eindeutig wie er auf den ersten Blick scheint – und er kann auch missverständlich, ja sogar missbräuchlich verwendet werden. Darauf möchten uns – anders als Walter Hämmerle – die Dichter Bertold Brecht und Erich Kästner hinweisen. Ersterer meint: „Unglücklich das Land, das Helden braucht“. Letzterer setzt sich in seinem Gedicht „Der Handstand auf der Loreley“, in dem ein Familienvater an jenem Felsen am Rhein einen Handstand wagt und dabei abstürzt und zu Tode kommt, mit diesem Mythos auseinander und kommt zu folgendem Schluss:

„Er starb als Held. Man muß ihn nicht beweinen.
Sein Handstand war vom Schicksal überstrahlt.
Ein Augenblick mit zwei gehobnen Beinen
ist nicht zu teuer mit dem Tod bezahlt!

P.S. Eins wäre allerdings noch nachzutragen:
Der Turner hinterließ uns Frau und Kind.
Hinwiederum, man soll sie nicht beklagen.
Weil im Bezirk der Helden und der Sagen
die Überlebenden nicht wichtig sind.“

Das sei allen, die im Kleinen wie im Großen mit Säbeln rasseln, ernsthaft ins Stammbuch geschrieben.

Bildrechtelinks:

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wolfgang_Sobotka_BHO-0072.jpg

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brigitte_Bierlein_%28cropped%29.jpg

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nigel_Farage_%2832766369000%29.jpg

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WG – 2024 KW22-DE-FB+IPHP Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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